Blickpunkt:Film

Reviews

Actionkomödie über einen ehemaligen Baseballspieler, der es im New York des Jahres 1998 mit einer paar finsteren Gestalten zu tun bekommt.

Die Frage ist eigentlich ganz einfach: Ist es immer noch ein Nachtmahr, wenn er sich bei hellem Tageslicht abspielt? Als hätte er es 40 Jahre später darauf angelegt, ein Negativ von „[Die Zeit nach Mitternacht](/movie/die-zeit-nach-mitternacht)“ zu erstellen, Martin Scorseses mittlerweile längst berühmte nächtliche Odyssee eines von Griffin Dunne gespielten Programmierers, der sich auf den Weg nach SoHo zu einem spätabendlichen Rendezvous macht und dabei in eine New Yorker Zwischenhölle mit ungewisser Aussicht auf Heimkehr gerät, lässt Darren Aronofsky seinen gebrochenen Helden eine own private Höllenfahrt in „[Caught Stealing](/movie/caught-stealing)“ in gewohnt intensiven Bildern fast ausschließlich unter Tags erleben. Wie um die Verwandtschaft zu unterstreichen, hat Griffin Dunne auch hier eine Rolle am Rande, aber die Bühne gehört [Austin Butler](/person/austin-robert-butler) in seiner ersten richtigen Hauptrolle seit „Elvis“. Wie Paul Hackett in „Die Zeit nach Mitternacht“ ist auch sein Hank Thompson ein wenngleich ungemein besser aussehender, so aber doch ganz normaler Typ, den Schriftsteller Charlie Huston für sein 2004 erschienenes Romandebüt „Der Prügelknabe“ nach eigenem Vorbild erfunden und dann in den beiden Folgejahren in zwei weiteren Romanen („Der Gejagte“, „Ein gefährlicher Mann“) fortgeschrieben hatte: ein kaputter Barkeeper in der Lower East Side im Jahr 1998, der sich am Telefon mit seiner Mama bevorzugt über Baseball unterhält und von einem Trauma aus seiner Vergangenheit verfolgt wird, das seiner eigenen Karriere als Profisportler ein jähes Ende bereitet hatte. Oder um es mit Soundgarden zu sagen, was statthaft ist bei einem Film, der sich in den späten Neunzigerjahren suhlt, dass man sie schmecken kann: looking California, feeling Minnesota. Überhaupt wäre „Outshined“ ein schöner leitmotivischer Song für den Film gewesen. Stattdessen gibt es einen neuen Track der IDLES – auch nicht schlecht, ehrlich gesagt. 

Hank Thompsons Dauerhatz um Haut und Haar beginnt nachts in der Bar, in der er arbeitet und wo er von seiner unfassbar attraktiven Freundin Yvonne, gespielt von Zoë Kravitz, abgeholt wird. Sie zieht sich über mehrere gleißend helle Tage, nachdem er sich bereiterklärt, eine Weile auf die Katze seines Nachbarn aufzupassen, ein von Matt Smith gespielter britischer Punker, der sich in seinem Outfit mit Iro und Nietenlederjacke als Bassist von The Exploited gut machen würde, sich tatsächlich aber mit ein paar finsteren Gestalten eingelassen hat, die alsbald schon auf meist gewaltsame Weise die Wege von Hank kreuzen werden: russische Schläger, hispanische Bösewichte, jüdisch-orthodoxe Auftragskiller, mehr oder weniger ein Querschnitt des Schmelztiegels New York, der tatsächlich eine weitere Hauptrolle spielen wird. Nachdem Kameramann Matthew Libatique die Stadt gerade erst von Süden nach Norden für Spike Lees „Highest 2 Lowest“ durchmessen hat, konzentriert er sich hier auf den unteren Teil Manhattans, den er in intensiven Bildern einfängt, die sich, wenn man sie den schmecken könnte, wie Sand im Mund anfühlen würden und doch immer auch eine Liebeserklärung sind an eine Stadt, wie es sie heute nicht mehr gibt, ein brandgefährlicher Ort mit Abgründen, die einen hinter jeder Ecke erwarten – in der allerersten Einstellung schwenkt die Kamera über die Twin Towers des World Trade Center – alles weg, alles vorbei. Die obligatorische Kamerafahrt vorbei an Kim’s Video in der Avenue A – wie gerade erst in Pablo Bergers „Robot Dreams“ – gibt es als Sahnehäubchen für die Big-Apple-Fangemeinde obendrauf. Danke dafür. 

Wenn es einen roten Faden durch Darren Aronofskys eklektisches Filmschaffen gibt, von den frühen Arbeiten „Pi“ und „Requiem for a Dream“ über seine erfolgreichste Phase mit „The Fighter“ und „Black Swan“ zu jüngeren Kabinettstückchen wie „mother!“ und zuletzt „The Whale“, dann ist es sein fortwährendes Bestreben, 125-prozentiges Kino zu erschaffen, ein Kino, das sich dichter anfühlt, massiver, intensiver, das sich mit Haut und Haar seinen Bilderwelten ausliefert und das Publikum gleich mit. Da bildet „Caught Stealing“ keine Ausnahme, ein Studiofilm mit dem flammenden Herzen einer Indieproduktion, unterstützt von einem Drehbuch von Romanautor Charlie Huston selbst, eine existenzialistische Komödie, die ihren Helden mit jeder neuen Szene noch tiefer in die Scheiße reitet und so was von nicht zum Lachen ist, gleichzeitig aber doch urkomisch in ihrem Bestreben, die fortwährende Verfolgungsjagd auf dem harten Asphalt von NYC sich anfühlen zu lassen, als handele es sich um einen kosmischen Witz, eine Bestrafung Gottes, der es witzig findet, die Hauptfigur in einem Hamsterrad laufen zu lassen, wie nur Sam Peckinpah und Walter Hill es sich ausgedacht haben können: Bring mir den Kopf von Hank Thompson! Der Film ist voller Verweise auf eine besondere Spielart des unabhängigen amerikanischen Nervenkitzel-Unterwelt-Kinos primär Mitte der Nullerjahre, Titel wie „Lucky Number Slevin“ von Paul McGuigan oder „Running Scared“ von Wayne Kramer, in dem sich attraktive junge Männer (Josh Hartnett, Paul Walker) eines Trommelfeuers immer noch absurderer Situationen erwehren mussten, um am Ende bloodied, but unbowed in den nächsten Tag zu blicken. Du hast keine Chance, aber nutze sie und so. Yadda yadda yadda. 

In diese Ahnenreihe fügt sich Austin Butler nahtlos ein, den man hier vom ersten Moment an in sein Herz schließt, so cool und lässig und sexy ist er mit seinen unverkennbaren Chris-Cornell-Vibes: Jeans, T-Shirt, Army-Overshirt, Basecap, Boots. Man würde sofort ein Bier mit ihm trinken wollen. Oder fünf. Oder zehn. Und spürt deshalb jeden Schlag auf die Nase umso unmittelbarer mit, den er bekommt, und es sind eine ganze Menge, unmittelbar ebenso wie bildlich, ein Teufelskreis, der so heftig ist, dass Hank ziemlich zu Beginn gleich eine Niere verliert und der Film erst dann Fahrt aufnimmt bei seiner downward spiral, Hank und die wunderbar entspannt bleibende Katze, die sich aus „Inside Llewyn Davis“ in die Handlung geschlichen zu haben scheint, sich unablässig Situationen ausgesetzt sehen, in denen Witz und Aberwitz mit verschränkten Armen durch das New York eines Jim Carroll oder Richard Price spazieren, in dem man niemand trauen kann, der Polizei schon gleich gar nicht. Neben den bereits Genannten schauen noch Regina King, Bad Bunny, Liev Schreiber, Vincent D’Onofrio und Carol Kane (Wahnsinn!) auf Gastauftritte vorbei. Aus dem Augenwinkel glaubt man förmlich zu erkennen, wie uns „Anora“ und „Little Odessa“ zuwinken, aber man kann nicht anders, als sich auf diesen Film zu konzentrieren, dessen Bilder sich um den Zuschauer wickeln wie eine Limousine, die mit vollem Tempo gegen einen Lichtmast knallt,  und der auf kluge Weise „Fight Club“ weiterdenkt, die Dekonstruktion des männlichen Körpers und des maskulinen Selbstverständnisses – nicht von ungefähr spielt der Film ein Jahr, bevor David Finchers Meisterwerk in die Kinos kam. Am Ende sieht selbst Austin Butler aus wie Minnesota, aber wenn man das Kino verlässt nach dieser geballten Zeit vor Mitternacht, fühlt man sich selbst wie Kalifornien. 

*Thomas Schultze*


REVIEW KINO: „Caught Stealing“