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Für ihre Leistung in dem Western ["Neues aus der Welt"](/movie/neues-aus-der-welt) konnte sich [Helena Zengel](/person/helena-zengel) gerade Nominierungen für einen Golden Globe und einen SAG Award sichern. Netflix startet den Film bereits am 10. Februar. Hier unsere Besprechung.


Vor drei Jahren gehörte [Paul Greengrass](/person/paul-greengrass) zu den ersten ganz großen Regienamen, die für Netflix einen Film realisierten, ["22, Juli"](/movie/22-juli) über den Massenmord eines Rechtsradikalen auf der norwegischen Insel Utøya und dessen Prozess in Oslo - damals neben Alfonso Cuaron und den Coen-Brüdern, die ihre neuen Werke allesamt im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig präsentierten. "Neues aus der Welt" war geplant als Rückkehr zur Arbeit mit dem Filmstudio Universal, das hinter Greengrass' größten Erfolgen steht, ein Bekenntnis zum Kino mit dem kinoträchtigsten aller Genres, einem großen Western mit Starappeal. Und landet nun mit Ausnahme einer kleinen Auswertung in den USA doch wieder bei Netflix, aus Gründen, die sattsam bekannt sind im Monat zwölf nach dem ersten Corona-Lockdown. Es ist auch der zweite explizite Kinofilm mit [Tom Hanks](/person/tom-hanks) in der Hauptrolle, der nicht auf der großen Leinwand, sondern bei einem Streamer um die Gunst des Publikums wirbt: ["Greyhound"](/movie/greyhound-schlacht-im-atlantik) war bereits im letzten Sommer von Sony an Apple TV+ veräußert worden. Wenn es ein Sinnbild gibt für die seismischen Veränderungen in der Filmbranche, dann ist es wohl das.


Dabei ist augenfällig, dass "Neues aus der Welt" mit seinen großen Panoramabildern der endlosen Weite des amerikanischen Westens und Verweisen auf klassische Arbeiten von [John Ford](/person/john-ford), [William Wyler](/person/william-wyler) und [Andrew V. McLaglen](/person/andrew-v-mclaglen) nicht dafür konzipiert ist, primär auf kleinen Bildschirmen konsumiert zu werden. Besonders explizit klingen ["Der schwarze Falke"](/movie/der-schwarze-falke) und ["Der Mann vom großen Fluss"](/movie/der-mann-vom-grossen-fluss) an in dieser Frontiersaga über einen altgedienten ehemaligen Offizier, der durchs texanische Hinterland zieht, um in den entstehenden Gemeinden die wichtigsten und unterhaltsamsten Geschichten aus den landesweiten Zeitungen vorzulesen, und unterwegs ein vor Jahren vom Stamm der Kiowa entführtes deutsches Siedlermädchen namens Johanna aufliest. In einer besonders anrührenden Szene der Annäherung erklärt der Mann dem Mädchen, das Leben des weißen Mannes in diesem neuen Amerika sei gekennzeichnet davon, dass es schnurgerade verläuft, immer nur nach vorn. Was als kritische Anspielung auf unser aktuelles Leben im Griff des Turbokapitalismus verstanden sein will im Gegensatz zum holistischen Ansatz der indigenen Völker, die das Leben als Kreis empfinden. Das Bild von der geraden Linie beschreibt aber auch den Film recht gut. Auffallend konventionell ist die Erzählung geraten, wohl auch als Verbeugung vor den Meistern des amerikanischen Kinos, und erinnert daran, dass der Brite Greengrass vor seiner Neuerfindung des modernen Actionfilms mit ["Die Bourne Verschwörung"](/movie/die-bourne-verschwoerung) und ["Das Bourne Ultimatum"](/movie/das-bourne-ultimatum) und seinem nervösen quasidokumentarischen Ansatz bei seinen superlativen Real-Life-Thrillern ["Bloody Sunday"](/movie/bloody-sunday) (Goldener Bär in Berlin 2002), ["Flug 93"](/movie/flug-93) und ["Captain Phillips"](/movie/captain-phillips) - ebenfalls mit Tom Hanks in der Hauptrolle - eher brav gestaltete Filme wie "Vom Fliegen und Träumen" gemacht hatte.


Dringlichkeit besitzt "Neues aus der Welt" trotz der klassisch-geradlinigen Machart dennoch. Weil Greengrass sein Szenario vom Amerika des Jahres 1870, kurz nach dem Bürgerkrieg und der Abschaffung der Sklaverei, nutzt, um vor allem die heutige Situation in einem entschieden entzweiten Land zu kommentieren, eine Verdammung der Verdummung durch Trumpismus. Von der zersetzenden Kraft erzählt er, die sich entwickelt, wenn Gemeinden den Blick nur noch nach Innen richten, wenn sie den Rest der Zivilisation ausklammern und unabhängige Nachrichten unterdrücken. Von dummen weißen Männern erzählt er, die glauben, die Welt gehöre ihnen und nur ihnen. Von den indigenen Völkern erzählt er, die in ihrem eigenen Land buchstäblich nichts anderes mehr sind als ein Schatten ihrer selbst, eine verblassende Erinnerung, was Amerika war, bevor der vermeintliche Fortschritt immer weiter in den Westen drängte. Und von der Notwendigkeit von Empathie, von Verständnis und Sorge füreinander, von der Gabe, einander zuzuhören und zu verstehen und daran zu wachsen, was bei Greengrass' keine sozialistische Utopie ist, sondern die Grundlage der Vereinigten Staaten von Amerika, versinnbildlicht durch zwei in ihrer Vergangenheit traumatisierte Menschen, die gemeinsam doch noch eine Zukunft haben können. Gespielt von Hanks, einmal mehr der beste Jimmy Stewart seit Jimmy Stewart, Personifizierung des amerikanischen Gewissens, und ["Systemsprenger"](/movie/systemsprenger)-Entdeckung Helena Zengel in ihrer ersten (aber sicherlich nicht letzten) Hollywoodrolle als wildes Kind, das durch Güte und Zuwendung seine Menschlichkeit zurückerobern kann, Szene um Szene, in einer umwerfenden Darstellung, die bereits mit Nominierungen für einen Golden Globe und einen SAG Award honoriert wurde. Das ist Neues aus der Welt, das man gerne hört.


Thomas Schultze

"Neues aus der Welt" mit Tom Hanks und Helena Zengel