Blickpunkt:Film

Kino

Regisseur und Drehbuchautor Ido Fluk setzt ein filmisches Denkmal für ein Konzert und seine Veranstalterin. 

Hätte es diese Frau nicht gegeben, wäre eines der legendärsten Konzerte der Musikgeschichte wohl niemals zustande gekommen. Die Rede ist vom wirkmächtigen „Köln Concert“ des Jazz-Pianisten Keith Jarrett, dessen Auftritt erst durch den Einsatz der Konzertpromoterin Vera Brandes möglich wurde, die für den Improvisationsabend wahrlich Himmel und Hölle in Bewegung setzte. Dass allzu viele von ihrem Namen noch nie gehört haben, ist ein unrühmlicher Missstand, mit dem der Kinofilm „[Köln 75](/person/)“ aufräumen möchte. Premiere feierte die Regiearbeit von Ido Fluk, der auch das Drehbuch beisteuert, bei der Berlinale in der Sektion Special Gala. 

Fluk war daran gelegen, einen Film zu machen, der beim Schauen das Grundgefühl von Jazz vermittelt. Erzählt wird neben ein paar experimentellen Schlenkern vor allem konventionell aus Sicht der jungen Konzertpromoterin, die sich in der Szene bereits 16-jährig einen Namen macht, sowie aus der Perspektive eines Musikjournalisten (Michael Chernus), der sich während einer Deutschlandtour an die Fersen des Jazzgenies Jarrett (John Magaro) heftet, um tiefe Einsichten in den brillanten Kopf des Musikers zu gewinnen. 

Den Part der jungen Vera Brandes übernimmt die begeisternde Mala Emde. In der Produktion von Sol Bondy und Fred Burle mit ihrer One Two Films spielt sie eine junge Rebellin, die sich gleichermaßen mit ihrem konservativen Elternhaus und den verkrusteten Zuständen ihrer Zeit anlegt. Besonders heftig ist der Konflikt mit ihrem Vater, der Brandes auch als längst erfolgreiche Geschäftsfrau mit 50 Jahren noch verfolgt. Susanne Wolff und Ulrich Tukur geben das Tochter-Vater-Paar, dessen Zerwürfnis für „Köln 75“ von zentraler Bedeutung ist. Ein Glücksgriff ist für den Film, der sich mittendrin zum Konzert-Roadmovie wandelt. auch die Besetzung von John Magaro als in sich gekehrtes Musikergenie Keith Jarrett. Eben erst spielte er die Hauptrolle in Tim Fehlbaums oscarnominiertem „September 5“. 

Von zwei Protagonisten gleichzeitig zu erzählen, stellt sich  dramaturgisch als gar nicht so einfach heraus. Zum Höhepunkt hin gelangt „Köln 75“ wieder in die handlungsleitende Spur. Zunächst deutet nicht viel auf ein Stattfinden des legendären Abends in der Kölner Oper hin, doch Vera Brandes scheute keine noch so große Mühe, um den einmaligen Gig möglich zu machen – und wenn es um die Beschaffung eines neuen Grand Pianos für den schwierigen Maestro geht. Verdienstvoll zeigt sich Ido Fluks abwechslungsreicher Biografiefilm, wenn es um die Mythologisierung der Jazzgeschichte geht – die Mythen der Rock- und Popgeschichte wurden filmisch bereits multipel und hinreichend durchgearbeitet. 

Angesiedelt inmitten einer Umbruchszeit präsentiert sich „Köln 75“ auch als sehenswertes Stück Zeitgeschichte, deren besonderes Flair sich auf die Leinwand überträgt. Ein Wermutstropfen für manche bleibt am Ende: Leider durften keine Originalaufnahmen des Köln Concerts im Film verwendet werden. Die Produzent:innen mussten daher im entscheidenden Bühnenmoment Jarretts musikalisch Einfallsreichtum an den Tag legen. Ein filmwirtschaftlich spannender Aspekt des Projektes: Während die One Two Films der Produzenten Sol Bondy und Fred Burle bereits an einer Umsetzung arbeiteten, stieß während der Finanzierungsphase Alamode Film hinzu. Diesmal nicht nur in der gewohnten Rolle als Verleiher wertiger Arthouse und Indie-Produktionen, sondern selbst auch als Koproduzent – für das Münchner Unternehmen eine Premiere.

Chris Schinke

REVIEW BERLINALE: „Köln 75“