Blickpunkt:Film

Kino

Die Berlinale hat sich mit ihrem Krisenmanagement an den eigenen Verhaltenskodex gehalten. Dennoch steht sie im Zentrum einer hitzigen Debatte, die bis in den Berliner Senat reicht. Dabei lohnt sich ein Blick auf die Fakten, bevor politischer Druck die Oberhand gewinnt. 

Zwei Vorfälle haben die Diskussion entfacht. Im ersten Fall ging es um eine Äußerung im Rahmen der der Vorführung von „Queerpanorama“-Sektion, die gegen geltendes Recht verstieß. Der Moderator der Berlinale distanzierte sich unmittelbar im Namen seiner Institution. Nach einer Anzeige sind die Strafverfolgungsbehörden gehalten, zu ermitteln. Die Berlinale hat ihre Mitarbeit zugesagt, sollte sie von Nöten sein. Im zweiten Fall betraf es den Film "Yalla Parkour". Hier wurde geprüft, ob Äußerungen außerhalb des Rahmens der Meinungsfreiheit fielen. Das war nicht der Fall – das Wort „Genozid“ ist rechtlich zulässig, solange es nicht strafrechtlich relevant verwendet wird. Da es im Filmkontext fiel, bestand kein Handlungsbedarf. Die Berlinale hat also juristisch korrekt reagiert und sich an ihren Code of Conduct gehalten. 

Nun gerät das Festival unter politischen Druck. Spätestens, seit Herr Stettner von der Berliner CDU seine Eintrittskarte zur Abschlussveranstaltung zerrissen hat, hört man, der Berliner Senat überlege, seine jährliche Unterstützung von, im nächsten Jahr, einer Million Euro zu streichen. Begründung: Die Berlinale habe nicht angemessen auf die Vorfälle reagiert. Doch genau das hat sie getan – konsequent, juristisch korrekt und im Rahmen ihres eigenen Regelwerks. Dass dies nicht reicht, um die Kritik zu besänftigen, liegt wohl weniger an den Tatsachen als an der aufgeheizten Debattenkultur. 

Es ist wichtig, zwischen künstlerischem Ausdruck und politischer Haltung zu unterscheiden. Dass Tilda Swinton sich öffentlich als Unterstützerin der BDS-Bewegung bekannte, mag viele befremden. Es steht aber nicht im Widerspruch zu ihrer künstlerischen Leistung. Demokratie lebt von Meinungsvielfalt, auch wenn sie unbequem ist. Eine politische Haltung eines Stars muss nicht automatisch eine Haltung des Festivals sein. Insofern sollte sich die Berlinale nicht beeindrucken lassen. 

Hätte die Berlinale Raum für Verbesserung? Den gibt es immer. Die Wortwahl, mit der sich das Festival von den Vorfällen distanziert hat, erinnert stark an die antiautoritäre Erziehung der 1970er Jahre. „Wir haben sehr deutlich vermittelt, wo die Grenzen liegen, und sind daher enttäuscht, wenn einzelne Filmemacher:innen dem Festival und auch den Menschen im Saal gegenüber mangelnde Sorgfalt und Respekt zeigen.“ Zwar ist im Nachgang von der roten Linie die Rede, dennoch mag der ein oder andere eine klare, unmissverständliche Formulierung und einen sachlichen, knappen Verweis auf „richtig“ oder „falsch“ als überzeugender empfinden. Trotzdem sollte man das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren. Bei 270 Filmen, 17.000 Fachbesucheri:nnen und 325.000 Zuschauer:innen sind zwei Fälle, so ärgerlich sie sein mögen, zwei Einzelfälle. 

Die Berlinale hat ihre Hausaufgaben gemacht: mit klaren Protokollen, Sensibilisierung der Filmschaffenden und einem Awareness-Team. Verglichen mit dem Vorjahr, als ihr Krisenmanagement als unzureichend galt, hat sich die Situation deutlich verbessert. Auch sollte man nicht übersehen, dass Berlinale-Intendantin Tricia Tuttle zu jenen gehörte, die gleich am Eröffnungstag ein Bild von David Cunio mit der Aufschrift „Bring David Cunio Home“ in die Kameras hielten. Ihre Haltung ist also keineswegs indifferent. Vielmehr zeigt sich hier, dass moralische Balance keine einfache Aufgabe ist. Wer sich um eine faire Positionierung bemüht, sollte dafür Kredit bekommen. Und, vielleicht noch entscheidender, adäquates Verhalten ist ein Lernprozess. Die Berlinale hat sich erkennbar weiterentwickelt. Der nächste Test steht am Abschlussabend an. Nächstes Jahr sind wir alle noch einen Schritt weiter. – zumindest ist das die Hoffnung.

Kommentar: Ruhe bewahren, Fakten sortieren