Blickpunkt:Film

Verleih

VideoWoche: Wann wurde [videoeinkauf.de](/company/videoeinkaufde) gegründet, und in welchem Verhältnis steht sie zur OTL GmbH?


[Jürgen Göhring](/person/juergen-goehring): Wir sind im August 2003 an den Start gegangen. Videoeinkauf.de ist eine Art Tochterfirma von OTL, auch wenn sie nicht als eigene GmbH firmiert. Wenn man so will, ist Videoeinkauf.de ein Label von OTL, die zunächst mit der Videothekenbranche nichts zu tun haben. Die OTL GmbH beschäftigt sich seit zwei Jahren aktiv mit Lizenzgeschäften in Merchandising, Direktvertrieb und Musik und wird von Roland Turtl, mit dem ich viele Jahre bei einer Einkaufsgruppe zusammengearbeitet habe, geleitet. Aufgrund unserer Vergangenheit waren wir der Ansicht, dass es sinnvoll ist, auch den Videothekenhandel zu bedienen.



VW: Wie funktioniert Videoeinkauf.de?


JG: Wir sind Vollsortimenter und beliefern unsere Partner mit Spielfilmen und Hardcore, Kaufprodukten und Konsolenspielen sowie Merchandisingartikeln. Unsere Kunden bestellen alle Waren komplett übers Internet. Dafür verfügen sie über ein Log-in für unsere Homepage [www.videoeinkauf.de](https://www.videoeinkauf.de) und haben Zugriff auf alle relevanten Daten. Sie tragen die Menge, die sie ordern wollen, ein, und der Computer errechnet dann automatisch die Budgets. Das heißt, der User hat immer einen Überblick über die Gesamtsumme. Bis zu dem Tag, an dem wir die Aufträge an die Industrie weiterreichen, kann das Bestellaufkommen jederzeit verändert werden. Die Monatsbestellung läuft einmal pro Monat ab, in der Regel zwischen dem 10. und 15. eines Monats für den Folgemonat. Außerdem können wir per E-Mail sehr schnell über Sonderaktionen der Anbieter informieren und entsprechend schnell abwickeln. Der Unterschied zu einigen anderen Gruppen besteht darin, dass wir nur eine Lieferanschrift haben, denn für Händler, die sehr kurzfristig den Entschluss fassen, sich zu verändern, ist es schwierig, bei der Industrie eine Kundenummer zu erhalten.




VW: Bevorzugen Sie den Begriff "Einkaufsgruppe" oder "Großhändler"?


JG: Ich bevorzuge "Einkaufsgruppe", weil das Wort "Großhändler" negativ behaftet ist. Prinzipiell machen wir nichts anderes als eine Einkaufsgruppe: Wir versuchen für unsere Kunden vernünftige Preis zu erzielen. Sicher erzielen wir aufgrund unserer Größe nicht die günstigsten Einkaufspreise, sondern liegen irgendwo im Mittelfeld. Aber unsere Kunden akzeptieren, dass sie ein oder zwei Euro mehr zahlen, in der Gewissheit, keine Verpflichtungen eingehen zu müssen. Wer eine DVD von "Herr der Ringe" bestellt, erhält auch nur eine. Diese Form der Entscheidungsfreiheit wissen viele zu schätzen. Ein kleiner Nachteil besteht vielleicht darin, dass wir von der Industrie nicht als klassische Einkaufsgruppe wahrgenommen werden, weil wir eben kein geschlossener Kreis sind.



VW: Wie würden Sie die Funktion Ihrer und vergleichbarer Gruppen im Markt beschreiben?


JG: Einige Kollegen und ich kooperieren mit Händlern, die sich aus verschiedenen Gründen keiner der größeren Handelsgruppen anschließen wollen. Wenn Sie dort zwei DVDs bestellen, müssen sie möglicherweise vier abnehmen, obwohl vier für das jeweilige Outlet zu viel sind. Viele Händler wollen nicht auf diese Art kalkulieren. Sie wollen nur Ware geliefert haben, die, gemessen an ihrem Budget, finanziell sinnvoll sind. Was sie nicht wollen, ist, für irgendwelche strategischen Abnahmemengen geradezustehen.




VW: So entsteht die berühmte "Unruhe im Markt"...


JG: Unruhe im Markt verursachen eher die Anbieter. Aktuell dadurch, dass der Handel doppelt abgestraft wird, indem erstens kein Verleihvorlauf mehr gewährt, und zweitens kein akzeptabler Einkaufspreis geboten wird, den die Anbieter darüber hinaus noch an Stückzahlvorgaben koppeln.



VW: Demnach sind Sie mit der Fensterpolitik nicht einverstanden?




Zur Person





Jürgen Göhring (39) ist seit 17 Jahren in der Videobranche tätig. In dieser Zeit war er mit fünf Outlets Videothekar in München, für die Einkaufsplanung einer Einkaufskooperation mit 85 Geschäften zuständig sowie Einkäufer einer Handelsgruppe mit 100 Videotheken. Außerdem saß Göhring im Vorstand der monte AG. Seit August 2003 ist er Sales Manager Entertainment von Videoeinkauf.de.






JG: Die Industrie muss sich auf die Marktgegebenheiten einstellen. Frühen haben wir höhere Einkaufspreise für Leihprodukte akzeptiert, weil wir dafür im Gegenzug eine exklusive Auswertungsfrist erhielten. Wenn wir diese Exklusivität nicht mehr haben, besteht kein Anlass mehr, höhere Preise zu fordern. Es kann nicht immer nur zu Lasten einer Seite geschraubt werden.



VW: Glaubt die Industrie überhaupt noch an den Verleihmarkt?


JG: Das ist eine hochpolitische Entscheidung: Will ich ihn noch, oder lasse ich ihn langsam ausbluten? Fest steht: Die Independents legen auf den Verleih nach wie vor großen Wert, weil sie viele Produkte haben, die sie über die Kaufoutlets nicht optimal vermarkten können. Inwieweit die Majors den Verleihmarkt mittelfristig unterstützen wollen, lässt sich schwer einschätzen, obwohl man viele positive Aussagen zu hören bekommt.



VW: Sind Videotheken gegenüber reinen Kaufoutlets tatsächlich benachteiligt?


JG: Für Toptitel muss der Kaufhandel definitiv weniger zahlen. Dabei muss man auch die Zahlungsmodalitäten und das Retourenrecht berücksichtigen, die es dem Kaufhandel einfacher machen als uns. Wenn die Industrie sagt, dass auch wir mit "Kampfpreisen" arbeiten sollen, geht die Rechnung schlicht nicht auf: Wir können nicht Produkte mit geringeren Renditeaussichten in die Läden stellen, um Kundenfrequenz zu erzeugen. Videothekenkunden würden sich diese eine DVD mitnehmen und sonst nichts. Bei Media Markt oder Saturn kaufen die Leute ein Kabel, Batterien und vielleicht einen neuen Toaster. Dieses Geschäft haben wir nicht. Die Videotheken verkaufen maximal einen Schokoriegel und eine Cola. Deswegen ist die Aussage, man könne in Videotheken Kaufprodukte genauso vermarkten wie in Verbrauchermärkten, wie der Vergleich von Äpfeln und Birnen.



VW: Was bringt der Gebrauchtverkauf?


JG: Als wir früher von DVD-Toptiteln eine gewisse Kopientiefe in den Läden stehen hatten, konnte der Leihhandel diese durch den Gebrauchtverkauf zu vernünftigen Preisen herunterfahren. Wenn man heute "[Findet Nemo](/movie/findet-nemo)" für 17,99 Euro neu in Kaufoutlets erhält, muss ihn niemand für 15 Euro gebraucht kaufen. Das ist Endverbrauchern nicht zu vermitteln. Jetzt sind solche Titel maximal für zwölf Euro zu verkaufen. Das ist ein Teufelskreis, der sich wiederum in der Kopientiefe bemerkbar macht. Heute muss ein Händler froh sein, wenn er für einen gebrauchten "Matrix"-Film noch zehn Euro bekommt. Bei B-Titeln sind es nur sechs oder sieben Euro. Andererseits sagt die Industrie: Eure Stückzahlen werden immer kleiner. Das ist eine ungesunde Spirale, die von uns jedoch nicht verschuldet wurde.



VW: Ist es vor diesem Hintergrund sinnvoll, für 50 Cents zu verleihen?


JG: Wenn ich einen Film für zehn Euro kaufen kann, will der Kunde ihn nicht für sechs Euro ausleihen. Deshalb müssen die Vermietgebühren vor allem für Backprogramm gesenkt werden. Den 50-Cent-Verleih halte ich dennoch wirtschaftlich für wenig sinnvoll. In der Regel geht es dabei um Verdrängungswettbewerb. Meistens sollen Mitbewerber ausgeschaltet werden. Ich sehe das deswegen nicht als allgemeinen Trend.



VW: Wie können sich Videotheken sonst profilieren?


JG: Im Hinblick auf das Programm haben wir heute andere Marktgegebenheiten. Früher musste man für einen Toptitel in die Videotheken gehen. Das ist nicht mehr so, und wir haben deswegen einiges an Boden verloren. Viele Händler haben inzwischen festgestellt, dass sie nicht durch 30 Kopien von "Herr der Ringe" überzeugen, die jeder stehen hat, sondern durch eine Programmbreite, also mit Schmankerln, die im Media Markt nicht zu finden sind. Das hat mit der Jugendschutzproblematik zu tun, aber auch, weil sich der Media-Markt-Einkäufer für viele Produkte nicht interessiert. "Directed by [Wes Craven](/person/wes-craven)" sagt ihm möglicherweise nicht viel, den Filmfans aber sehr wohl. Wahre Filmfans gehen nur in die Verbrauchermärkte, um dort die Topprodukte zu holen. Die Leute, die auf Filmbörsen gehen und in den Gebrauchtwarenschütten wühlen, sind nicht die klassischen Media-Markt-Kunden. Das ist eine andere Klientel, die eine andere Beziehung zu dem Medium hat. Dadurch können sich Videotheken profilieren und sagen: Bei mir bist du richtig!



VW: Sie haben selbst in Videotheken hinter der Theke gestanden. Ist der so oft zitierte Begriff der "Kundenbindung" eine leere Floskel, bzw. wie würden Sie ihn mit Inhalt füllen?


JG: Zunächst einmal: Der Kunde muss heute viel mehr Aufmerksamkeit erfahren als früher. Noch vor einigen Jahren haben Händler viel Geld mit Umsatz gescheffelt, der sozusagen gar nicht zu vermeiden war. So funktioniert das nicht mehr. Kunden kamen, ohne dass man "Guten Tag" und "Auf Wiedersehen" sagen musste. Heute muss man mehr bieten. Kunden einfach nur mit dem Namen anzusprechen oder beim Ausleihen zu sagen, dass der Film eine gute Wahl ist, sind schon Kleinigkeiten, die viel bewirken. Wer schlau ist, schenkt einem Kind, das nicht die Videothek betreten darf, während die Erwachsenen einen Film aussuchen, einen Lutscher. Kunden, die so hofiert werden, kommen wieder. Ich hoffe, dass das viele inzwischen begriffen haben. Schwierig ist es für die so genannten Dinosaurier in unserer Branche, also diejenigen, die seit 20 Jahren dabei sind und nicht mehr flexibel genug sind, etwas zu verändern.



VW: Personalschulung könnte also etwas bewirken?


JG: Wer einen bestimmten Actionfilm sehen will, ihn aber nicht bekommen kann, darf dann nicht alternativ eine Komödie empfohlen bekommen. Solche und andere Dinge habe ich oft genug erlebt: Die Aushilfe, die hinter der Theke sitzt, eine Videokassette anschaut und den Eindruck vermittelt, keinesfalls gestört zu werden. Gutes Personal kann den Umsatz in kürzester Zeit um gut zehn Prozent steigern. Zehn Prozent sind bei einem durchschnittlichen Monatsumsatz zwischen 15.000 und 20.000 Euro eine gigantischer Zuwachs - und das nahezu ohne zusätzliche Kosten oder Investitionen. Mit geschultem Personal lässt sich unglaublich viel bewirken.



VW: Welchen Stellenwert hat Hardcore in den Videotheken?


JG: Dieses Segment hat nach wie vor eine sehr große Bedeutung. In den letzten Monaten hat Hardcore vielen die Umsätze gesichert. Ich wüsste auch nicht, weshalb Hardcore an Bedeutung verlieren sollte, weil der Vertrieb über Pay-TV oder Video on Demand nicht wirklich anonym ist. Darüber hinaus kann man mit den Erotikanbietern sehr gut zusammenarbeiten: Sie sind sehr flexibel, nehmen uns ernst und bieten Monat für Monat bis zu 200 neue Titel an.



VW: Wie ist Ihre Position zum Automatenverleih?


JG: Neuen Entwicklungen sollte man immer aufgeschlossen gegenüber stehen. So kann ich nur jedem Händler empfehlen, sich zumindest mit der Thematik zu beschäftigen und Automaten auch als Chance zu begreifen. Ebenso sollte die Überlegung da sein, seinen Standort zu sichern. Auch über die Automaten werden Filme verliehen, und so gesehen ist es zu begrüßen, wenn der Filmverleih auf diese Weise wieder ins Gespräch kommt. Dasselbe gilt für Onlineverleiher. Ich kann darin nichts Negatives entdecken.



VW: Wie würden Sie die aktuelle Stimmungslage im Handel beschreiben?


JG: Richtig schlecht war die Stimmung in der zweiten Jahreshälfte 2003. Auch Anfang 2004 noch, aber zuletzt zeigte das Stimmungsbarometer nach oben. Das hängt mit den Erfolgen gegen die Raubkopiererei zusammen. Vor allem unsere Partner im Ruhrgebiet hatten schwer zu leiden. Großen Respekt für die [GVU](/company/gvu-gesellschaft-zur-verfolgung-von-urheberrechtsverletzungen-ev), wie sie mit vergleichsweise wenig Personal solche Erfolge erzielen kann. Ich bin selbst viel im Internet und habe den Eindruck, dass das Angebot an aktuellen Filmen deutlich abgenommen hat. Auch das Konsumverhalten ist etwas besser geworden. Natürlich haben wir nicht mehr das Niveau vergangener Jahre, aber es geht wieder aufwärts. Viele unserer Partner empfinden ebenso. Zur Zufriedenheit besteht natürlich noch längst kein Anlass. Es ist immer noch ein hartes Geschäft, bei dem man sehr knapp kalkulieren muss und sich keine Fehler erlauben darf.

Im Gespräch: Jürgen Göhring, videoeinkauf.de