Blickpunkt:Film

Die [ARD](/company/ard-gemeinschaftsprogramm-erstes-deutsches-fernsehen) hat kurzfristig den Magdeburger „Polizeiruf 110: Widerfahrnis“ verschoben. Deshalb wird bereits am kommenden Sonntag der sehenswerte letzte Dresdner „Tatort“ mit [Karin Hanczewski](/person/karin-hanczewski) als Karin Gorniak, „Herz der Dunkelheit“ ([Made for Film](/company/madefor-film) für [MDR](/company/mitteldeutscher-rundfunk-mdr)), gezeigt. Blickpunkt:Film bekam noch die Gelegenheit zu einem Interview mit Regisseurin und Autorin [Claudia Garde](/person/claudia-garde).

**Was war zuerst da, das Angebot den letzten „Tatort“ von Karin Hanczewski als Kommissarin Gorniak zu schreiben und zu inszenieren oder die Idee zu einer Geschichte über diese lost kids, diese tragische Schülerclique?**

Der Gedanke der lost kids, so wie sie nun im Film als geschlossene Gemeinschaft dastehen, hat sich erst bei der Lektüre zu [Ben von Rönnes](/person/ben-braeunlich) 1. Fassung ergeben.  Das heißt, die Idee einer Abiparty, auf der damals noch eine Schülerin starb, stammt von ihm. Als ich in das Buch eingestiegen bin, schien es mir folgerichtig diese Generation, ihre Ängste, aber auch Schwierigkeiten, in der realen Welt zu agieren, näher zu betrachten. Die Fatalität, die Verkettung der Fehlentscheidungen, die sie treffen fand ich nahezu archaisch und erinnert an die alten griechischen Dramen.

**Es ist Ihr erster Dresdener „Tatort“ und dann gleich so ein bedeutender. Wie haben Sie sich Karin Gorniak, aber auch ihren Kolleg:innen angenähert? Haben Sie sich auch gezielt alte Folgen angeschaut?**

Ich habe natürlich schon einige der Dresdener „Tatorte“ gesehen, aber ich habe in diesem Fall keine expliziten Studien betrieben. Die Schauspieler:innen wissen selbst sehr gut, wie ihre Rollen normalerweise reagieren und wie sie sich innerlich und äußerlich bewegen. Da vertraue ich 100 Prozent. Aber wie im Leben gibt es ja auch immer wieder Momente, wo die eigenen Grenzen übertreten werden und für gewöhnlich steigt genau hier Film ein. Da entsteht dann für jede noch so klare Figurenpsychologie immer wieder ein neues Fenster. Gorniak handelt sicher in diesem „Tatort“ ihrer Figur entsprechend, gerne einen Schritt weitergehend, als das Protokoll vorsieht, aber dadurch, dass sie privat so in diesen Fall involviert ist, geht sie weiter als gewöhnlich und auch über die eigene Schmerzgrenze hinweg. Das traurige an der Geschichte ist, dass es Stück für Stück deutlicher wird, dass die Liebe keine Chance haben wird, obwohl die Liebenden doch bis zu dieser fatalen Nacht nichts falsch gemacht haben.

**Kann man den Film auch als eine Art Porträt einer Frau verstehen, die auch in einer glücklichen Lebenssituation nicht aus ihrer Haut kann?**

Ich glaube, es gibt bei dieser Geschichte keinen Notausgang für die Liebe. In meiner Idee ist Gorniak auch so manisch und grenzüberschreitend, weil sie eigentlich genau das Gegenteil will, nämlich sich beweisen, dass alles gut is und Romy nichts mit der Sache zu tun hat. Sie hätte den Fall auch abgeben können und ja, vielleicht wäre er dann sogar nicht aufgeklärt worden, weil nur durch Karin und ihre Grenzüberschreitung Informationen ans Licht gekommen sind, die später die Wahrheit entlarven. Aber so ist Karin Gorniak nicht. In diesem Sinne könnte man sagen, die gute Polizistin hat gesiegt. Aber ich denke, sie ist gerade deshalb eine gute Polizistin, weil sie den fast selbstzerstörerischen Instinkt hat.

![](https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/zone.busch.store.image/70a6d3b3-c0f5-4625-92f6-69e61fda3a40.jpg) Karin Hancewski mit Martin Brambach in ihrem letzten „Tatort“ als Karin Gorniak; Foto: MDR/MadeFor/Steffen Junghans

**Sie nutzen dieses Involvement zu einem starken, intensiven Film. Trotzdem die grundsätzliche Frage: Finden Sie nicht, dass die persönliche Verwicklung der Ermittler in den Fall in den zahllosen Krimireihen überhand nimmt und man so eine eher unrealistische Ausgangssituation schafft?**

Das mag häufig der Fall sein. Ich persönlich bin auch nicht so die Krimiguckerin und deshalb habe ich da nicht so viele Vergleiche. Grundsätzlich ist es aber doch immer spannend, wenn etwas auf die emotionale und persönliche Ebene gerückt wird und die Kommissar:innen nicht dieselben Fragen und Handlungen liefern müssen. Die Sachlichkeit, mit der die Polizei im wahren Leben vorgehen muss, taugt nicht für Film. Es sind immer die Fälle, wo etwas aus dem Ruder läuft, die spannend werden ...

**Wie sehr war Karin Hanczewski in die Entwicklung „ihrer“ Abschiedsgeschichte involviert?**

Wir haben viel geredet, sind die Szenen sehr genau im Vorfeld durchgegangen und haben Vieles auch immer wieder in Frage gestellt. Karin hat sich unwahrscheinlich präzise mit jeder Abbiegung in diesem Film auseinandergesetzt. Ich habe sie auf beeindruckende Weise als eine Schauspielerin erlebt, die nichts dem Zufall überlässt und dann aber so spielt, als würden ihr die Worte und Gefühle gerade erst in dem Moment des Drehens begegnen. Das ist eine Kunst, die sie beherrscht. Ich habe sehr gerne mit ihr gearbeitet.

**Toll erzählt sind auch die Jugendlichen. Ist ihr Film ein Stückweit ein Hinweis auf eine Generation, die zwischen Corona-Krise, Klimakrise und politischen Krisen zermürbt und um ihre Zukunft beraubt wird?**
 
Auf jeden Fall. Ich habe großes Mitgefühl für diese Generation. Was für eine Welt wird ihnen angeboten und welche Mittel haben sie denn überhaupt darauf zu reagieren. Geschweige denn richtig zu reagieren.  Es macht mich traurig zu sehen, dass sie mehr Ängste und viel weniger Zuversicht haben als die Generationen davor.  Sie sind einfach viel leiser geworden in den letzten Jahren. Das ist doch nicht normal für dieses Alter. Da ist man laut, vertritt lautstark Meinungen und prägt die Leitkultur mit. Diese Generation hört wieder die Musik der Eltern, und versucht diese mehr zu verstehen als umgekehrt.

**Das war sehr auffällig. Die Kids tanzen ausschließlich zu Musik aus der Vergangenheit, von Bronski Beat und Eurythmics bis „Born Slippy“.**

Es gibt sehr viele Jugendliche, die „Vintage Musik“ hören. Ich selber habe drei Kinder und bin immer wieder erstaunt. Aber auch mit den Jugendlichen am Set haben wir viel geredet und die Auswahl erschien uns allen richtig. „Born Slippy“ von Underworld ist natürlich auch ein großes Filmzitat aus Trainspotting. Und Bronski Beat beschreibt das, was es sein könnte, aber eben nicht ist… 
**War es schwierig, diese Vielzahl an jungen Schauspieltalenten zu finden?**

Mir war es wichtig, dass wir keine Klischees bedienen, und ich habe mir fast 100 Jugendliche angeschaut. Ich bin sehr glücklich mit diesem ausgesprochen begabten Cast. Es war fast ein wenig unheimlich, wie sehr sie an ihre Rollen rangerutscht sind. Als der Film fertig war, habe ich ein Treffen und ein Screening bei mir zu Hause gemacht und sie waren selbst ein wenig verstört, über das, was sie von sich gesehen haben.  
**Wir werden es vermutlich nie erfahren, deshalb fragen wir Sie: Wie könnte das „neue Leben“ von Karin Gorniak aussehen?**

Ich glaube sie kann nicht ohne die Polizei. Ich glaube ihr geht es gerade gar nicht gut ;)) 

**Was steht für Sie als nächstes an?**

Ich bin derzeit dabei einen Film zu schneiden, den ich im Herbst gedreht habe und beschäftige mich mit neuen Stoffen. Dabei freue ich mich auf den Frühling … 

Das Interview führte Frank Heine


Regisseurin Claudia Garde: „Eine Schauspielerin, die nichts dem Zufall überlässt“