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Einen besseren Film zu Weihnachten kann man sich kaum vorstellen: George Clooneys bewegender, trauriger und Hoffnung machender Science-Fiction-Film ["Midnight Sky"](/movie/the-midnight-sky) startet am 23. Dezember bei Netflix. Hier unsere Besprechung.


The Midnight Sky


George Clooneys großer Survival-Science-Fiction-Film über das Ende der Welt und was bleibt.


Mittendrin gönnt sich [George Clooney](/person/george-clooney) den schönsten Einsatz von Popmusik im Weltall, seitdem Brian De Palma seine Stars Tim Robbins und Connie Nielsen in ["Mission to Mars"](/movie/mission-to-mars) zu den Klängen von "Dance the Night Away" von Van Halen durch den luftleeren Raum wirbeln ließ: Nach und nach stimmen alle ein in "Sweet Caroline" von Neil Diamond, als drei der Astronauten des Raumschiffs Aether auf dem Weg vom Jupitermond K-23 zurück zur Erde nach einem Meteoritenhagel an der Außenseite des Raumschiffs Reparaturen vornehmen müssen. Es ist ein kurzer Moment des Innehaltens, des Kraftsammelns, des Feierns von Gemeinschaft, wie in einem Film von John Ford. Es ist ein weggeworfener Moment, dramaturgisch scheinbar von keinerlei Bedeutung. Unmittelbar danach wirft Clooney die Action wieder an, wird man als Zuschauer Zeuge eines fürchterlichen Todes, in so schöne Bilder gepackt, dass man gar nicht recht weiß, wie man darauf reagieren soll. Aber davor dieser Moment des Ausruhens, der sich zunächst so fehl am Platze anfühlt. Aber, wenn man erst einmal darüber nachgedacht hat, der entscheidende ist in "Midnight Sky": Hier formuliert Clooney, was die menschliche Erfahrung ausmacht: Kleine Momente angesammelt ergeben ein Leben. Um Zusammenleben geht es, die geteilten Augenblicke, die nicht von Bedeutung sind und dennoch bleiben, weil sie es sind, an die man sich erinnert.


Fast scheint es, als hätte der Filmemacher George Clooney die spektakulären Fehltritte ["Monuments Men - Ungewöhnliche Helden"](/movie/monuments-men-ungewoehnliche-helden) und ["Suburbicon"](/movie/suburbicon-der-tod-wohnt-in-der-vorstadt) gebraucht, um "Midnight Sky" machen zu können, seine Adaption von [Lily-Brooks Daltons](/person/lily-brooks-dalton) Roman "Good Morning, Midnight". Gute Absichten machen eben nicht gute Filme. "Midnight Sky" ist dagegen ein guter Film, sein sehr sehr guter Film, der Film, den man sich von Clooney erhofft hatte nach starken frühen Arbeiten wie "[Good Night, and Good Luck.](/movie/good-night-and-good-luck)" oder "[The Ides of March - Tage des Verrats](/movie/the-ides-of-march-tage-des-verrats)". Manchmal dauert es eben ein bisschen, bis die gute Sache herangewachsen ist. Um die Frage geht es, was man machen wird, wenn es nichts mehr zu machen gibt, wenn die Erde untergeht, die Menschheit am Ende ist. Was wird man tun, woran wird man denken, an was wird man sich erinnern? Und vor allem: Was wird einem wichtig sein? Es ist kein dystopischer Film, wie man das bisher gesehen hat. Hier fliegt nicht Bruce Willis auf einen Asteroiden und sprengt ihn, bevor er die Erde zerschmettern kann. Hier sehen sich nicht Menschen tief in die Augen, während eine große Welle über sie hinwegfegt. Hier hält kein Präsident eine verkappte Shakespeare-Rede. Hier hilft es nicht, wenn man zusammenrückt und miteinander anpackt. Hier ist alles verloren, von Anfang an.


Auf der Erde sind die Pole die verbliebenen Orte, wo man noch atmen kann. In einer letzten Rettungsaktion werden die dortigen Forschungszentren evakuiert. Nur der todkranke Wissenschaftler Augustine bleibt zurück. Einst hat er der Menschheit Hoffnung gegeben, weil er es war, der einen Ort im Weltall entdeckte, wo Leben möglich ist, den Jupitermond K-23. Heute ist er gezeichnet von Krankheit und Schwermut und Einsamkeit und will für sich sein, mit seinem Whisky und seinem Dialysegerät, ohne das er nicht mehr leben kann. Bis er feststellt, dass er nicht allein ist: Ein kleines Mädchen ist ebenfalls zurückgeblieben, offenbar im allgemeinen Trubel vergessen worden. Und macht ihm nun einen Strich durch die Rechnung, allein dem Ende entgegenzublicken. Um das Kind zu retten, macht er sich auf den Weg ins ewige Eis, zu einer Wetterstation, wo er Kontakt aufnehmen kann mit der Aether, die zur Erde zurückkehren will. Zwischen diesen beiden Schauplätzen schwenkt die Handlung, jeweils geht es ums Überleben und die Erkenntnis, dass Hoffnung wohl eine Chimäre ist.


Es gibt ein bisschen Action, die toll aussieht, aber nie die Figuren kleinmacht, Clooney in seinem ersten Auftritt als Schauspieler in einem Film seit vier Jahren, der kantig aussieht und ausgezehrt, in der Natur, [Felicity Jones](/person/felicity-jones), [Kyle Chandler](/person/kyle-chandler), [Demian Bichir](/person/demian-bichir), [David Oyelowo](/person/david-oyelowo) und [Tiffany Boone](/person/tiffany-boone) an Bord der Aether, deren Design so mütterlich und organisch ist. Mehr braucht "Midnight Sky" nicht, um thematisch und emotional so dicht zu sein, dass man sich der Wirkung des Films schier nicht entziehen kann. Unverkennbare Anklänge gibt es an "[Solaris](/movie/solaris_9)" und ["Gravity"](/movie/gravity), die beiden Weltall-Filme, in denen Clooney bereits mitgespielt hat, sowie ["Ad Astra"](/movie/ad-astra-zu-den-sternen) mit Clooneys Kumpel Brad Pitt oder ["Der Marsianer - Rettet Mark Watney"](/movie/der-marsianer-rettet-mark-watney) mit Clooneys anderem Kumpel Matt Damon. Und doch ist dieser Abgesang auf die Menschheit, der mehr Science als Fiction ist, ein ganz eigenes Ding, eine wundersame Filmerfahrung, ein Sinnen darüber, was uns ausmacht, das im Jahr der Pandemie einen Resonanzboden erhält, der den Film so brandaktuell macht, dass es einem den Hals zuschnürt. Und doch genau jene Hoffnung und Kraft gibt, die den Figuren im Film wohl versagt bleibt. Wohin die Reise noch gehen wird, können die Überlebenden am Schluss nicht sagen. Aber schön war es, das Leben auf der Erde.


Thomas Schultze

"Midnight Sky" von George Clooney