Blickpunkt:Film

Produktion

Mit "Vikings: Valhalla" rollt bei Netflix am Freitag der erste große Spinoff von Michael Hirsts Erfolgsserie ["Vikings"](/tvshow/vikings) vom Stapel. Wir sprachen mit Showrunner [Jeb Stuart](/person/jeb-stuart) darüber, was seine Show vom Original abhebt.


Bevor wir über "Vikings Valhalla" reden, muss ich Sie unbedingt fragen, wo Sie abgeblieben waren. Sie gehörten zu den erfolgreichsten Hollywoodautoren der Neunzigerjahre, waren beteiligt an den Drehbüchern von Klassikern wie ["Stirb langsam"](/movie/stirb-langsam) und ["Auf der Flucht"](/movie/auf-der-flucht_b1), gaben mit ["Switchback"](/movie/switchback) sogar Ihr Regiedebüt. Dann jahrelang Funkstille. Was war passiert?


JEB STUART: Ich musste eine Auszeit vom Filmgeschäft nehmen, weil meine Frau sehr krank geworden war. Ich habe mich um sie gekümmert, die Kinder waren noch klein. Wenn man rund um die Uhr mit Pflege und Erziehung beschäftigt ist, fehlt Zeit und Muße, um sich das Schreiben von Drehbüchern oder Inszenierung kümmern zu müssen. Familie war wichtiger. Nach dem Tod meiner Frau stellte ich mir die Frage, welchen Weg ich als Autor einschlagen wollte. Fernsehen erschien mir spannender als der x-te Actionplot, da war mehr Spielraum für das Erzählen von Geschichten und Entwickeln komplexer Figuren. Aber, und das musste ich auch erst einmal lernen, Fernsehen ist eine ganz andere Industrie als Film. Es ist wie der Unterschied, ob dein Sohn in der Armee oder der Marine ist.


"Vikings Valhalla" ist aber auch eine ganz andere Baustelle als das, was Sie davor gemacht haben.


JEB STUART: Einerseits ja, andererseits nein. Natürlich könnte ich weiter Filme machen. Aber ich wäre als Autor dann auf immer und ewig nur ein Halbgott. Die Entscheidungen treffen andere, die Produzenten und der Regisseur. In meinem Alter und mit meiner Erfahrung ist das nicht das Wahre. Als Showrunner mache ich genau das, was der Begriff sagt: Es ist meine Show, alle Fäden laufen bei mir zusammen. Das ist fair, weil es in vielerlei Hinsicht dem entspricht, was ich als Drehbuchautor im Film gemacht habe. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich nach dem Dreh in den Schneideraum gerufen wurde, wo man mich gebeten hat, mit dem Drehbuch Probleme des gedrehten Materials zu lösen. Ich habe während des Drehs Drehbücher umgeschrieben, sehr anstrengende Arbeit. Ich habe Erfahrungen als Regisseur und als Produzent.


Wenn man das alles zusammenfasst, hat man einen Showrunner.


JEB STUART: So ist es. Es ist spannende, vielschichtige Arbeit. Man hat seine Finger in allen Bereichen der Produktion. Man arbeitet eng mit richtig guten Autoren, man heuert die Regisseure an, die man für die Richtigen für die Art von Show hält, an der man gerade arbeitet. Man teilt seine Vision. Man verbringt Zeit in der Postproduktion, den VFX, dem Ton. Auf einmal kann ich all die Dinge machen, die ich mir mit 35 bestenfalls hätte erträumen können. Ich liebe jede Minute. Bei einer großen und aufwändigen Show wie "Valhalla!" braucht man jemand, der erkennt, dass die Sache nicht getan ist, wenn der Autor das Drehbuch an den Regisseur übergibt. Nach dem Dreh geht es erst richtig los. An allen Stellen der Postproduktion, bis hin zum Soundmix, kann man die Angelegenheit noch einmal nachhaltig verändern, ihr einen ganz neuen Dreh geben.


Warum "Valhalla"?


JEB STUART: Worauf ich keine gesteigerte Lust hatte, war es, die siebte Staffel von "Vikings" zu machen. Das ist Michael Hirsts Show, sie ist ikonisch, voll und ganz seiner Vision entsprechend. Ich bin ein großer Fan; viele Aspekte finde ich bahnbrechend: die starken Frauenfiguren in dieser Männerwelt; der Aufeinanderprall verschiedener Ideologien; der Blick auf eine egalitäre Gesellschaft. Das sind tolle Themen für die heutige Zeit. Mein Ansatz ist anders. Ich schreibe Action, die auf den Figuren basiert. Deshalb ging es mir darum, eine Welt zu erschaffen mit Wikingerfiguren aus Fleisch und Blut. Sie sollten atmen, leben, sich bewegen und aussehen wie Menschen. Das war mein Ziel. Und ich wurde dabei unterstützt. Ich liebe Action! Da hat "Vikings" die Latte schon ziemlich hoch gelegt. Ich wollte sie noch höher legen. Ich will, dass man mit offenem Mund zusieht und mitfiebert.


"Vikings" war Ihnen also bereits ein Begriff?


JEB STUART: Ich wusste genug darüber, dass man mich dumm nennen könnte. Ja, ich kannte und mochte die Show. Aber ich habe mich dann fast ein Jahr lang richtig reingekniet, weil ich mir erst einmal klarwerden musste, was ich erzählen wollte, wie meine Show aussehen könnte, wie sie "Vikings" sein konnte, aber eben auch unverkennbar "Valhalla". Ich wollte auf keinen Fall unmittelbar an Michaels Show ansetzen, es durfte keine überschneidenden Figuren geben. Da werden dann immer nur unnötige Vergleiche angestellt, die von der eigentlichen Show ablenken. "Vikings: Valhalla" setzt jetzt also 100 Jahre nach "Vikings" ein, am Wechsel vom zehnten zum elften Jahrhundert. Eine irre Zeit! Vieles von dem Geschehen damals spiegelt sich in der Welt, in der wir heute leben. Es gibt immer noch Völkermord, es gibt immer noch gesellschaftliche Spaltung, damals zwischen Heiden und Christen, heute zwischen links und rechts.


Mussten Sie Michael Hirst von Ihrer Idee überzeugen?


JEB STUART: Das war nicht nötig. Er hatte seine Serie gemacht, und das reicht ihm. Ich hatte zuvor schon einmal mit ihm an einer anderen Sache gearbeitet und habe ihn damals schätzen gelernt. Meine Einschätzung war richtig. Er hat sofort zu mir gesagt: Jeb, "Valhalla" soll nicht meine Show sein. Aber es muss deine Show sein. Natürlich war es wichtig, ihn zu überzeugen. Man muss eine solche Serie schon unbedingt machen wollen, wenn sie denn auch gut werden soll. Aber nachdem ihm erklärt hatte, warum und wie ich "Valhalla" machen wollte, hatte ich ihn als Mitstreiter immer an meiner Seite.


Wie wichtig war Ihnen historische Genauigkeit?


JEB STUART: Alle größeren Ereignisse sind verbürgt ebenso wie die Existenz der Hauptfiguren. Wo man Spielraum hat, ist also nicht A und B, sondern der Weg von A zu B. Da kann man dann Geschichtenerzähler sein und muss nicht unbedingt sklavisch Geschichte nacherzählen.


Wie frei waren Sie bei der Gestaltung? Was waren die Limitationen bei der Umsetzung?


JEB STUART: Da kam mir meine Erfahrung bei großen Actionfilmen zupass. Ich habe eine ziemlich gute Vorstellung davon, was und wie es sich umsetzen lässt, was ich mir leisten kann und was nicht. Im Englischen gibt es einen Ausdruck: Es gibt mehr als eine Art und Weise, eine Katze zu häuten. Man muss sich einfach überlegen, wo es vernünftig ist, ein bisschen mehr Geld auszugeben und wo man sich besser zurückhält. Was braucht man, was braucht man nicht? Es wird niemals eine Produktion geben, bei der das Geld ausreicht. Niemals. Wenn man nicht gerade einen Marvel-Film verantwortet, hängt es von den Entscheidungen ab, mit dem Geld zurecht zu kommen, das einem zur Verfügung steht.


Das Gespräch führte Thomas Schultze.

Showrunner Jeb Stuart über die Netflix-Serie "Vikings: Valhalla": "Ich liebe Action!"