Blickpunkt:Film

Produktion

Mit ["Schatten der Mörder - Shadowplay"](/movie/schatten-der-moerder-shadowplay) legt der schwedische Showrunner und Regisseur [Måns Mårlind](/person/mans-marlind) eine epische internationale Serie mit Starbesetzung ([Taylor Kitsch](/person/taylor-kitsch), [Nina Hoss](/person/nina-hoss), [Sebastian Koch](/person/sebastian-koch)) vor. Das ZDF strahlt sie ab heute an vier Abenden in der 20-Uhr-15-Schiene aus.


Was hat sie als schwedischen Filmemacher dazu gebracht, eine deutsche Geschichte erzählen zu wollen - noch dazu eine, die sehr spezifisch ist?


MÅNS MÅRLIND: Diese Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hat mich immer schon ungemein fasziniert. Den Zweiten Weltkrieg kennen wir aus dem Kino und dem Fernsehen, jede Facette davon wurde betrachtet und beleuchtet. Es gibt zahllose Filme, die den Schrecken und die Zerstörung thematisiert haben, die Grausamkeit der Nazis, die Heldentaten vereinzelter Soldaten oder Bürger. Ebenso haben wir den Kalten Krieg immer wieder in Kino und Fernsehen gesehen, die verhärteten Fronten zwischen Ost und West in den Sechzigern. Stunde Null ist dagegen immer noch filmisches Niemandsland. Dabei ist es eine wahnsinnig spannende, sehr extreme Zeit. Europa ist zerstört, Deutschland liegt am Boden, die Gegenwart der Menschen ist geradezu ausgelöscht. Das ist ein idealer Nährboden für Geschichtenerzähler. Wie gehen die Menschen mit dieser Herausforderung um? Helfen sie einander oder gehen sie sich gegenseitig an die Gurgel? In einer solchen Situation wird man mit der Frage konfrontiert, wer man wirklich ist.


Das ist eine starke Kulisse, aber für einen Film oder eine Serie muss man sie anfüllen mit Figuren, mit einer Geschichte.


MÅNS MÅRLIND: Ich habe lange nach dem richtigen Ansatz gesucht, wie ich überzeugend in diese Welt eintauchen könnte. Dann haben mich Freunde in Berlin mitgenommen ins Max & Moritz, eine Traditionsgaststätte in der Oranienstraße. Ich muss gestehen, ich kannte die Geschichte nicht, Wilhelm Busch war mir kein Begriff. Der Kellner erzählte mir, worum es darin geht. Ich war wie vom Donner gerührt. Warum hat das noch niemand in einem Film verarbeitet? Da hat es bei mir Klick gemacht: Max und Moritz, zwei amerikanische Brüder mit einer deutschen Mutter, einer ist untergetaucht, der andere sucht nach ihm. Auf einmal hatte ich einen Motor für meine Geschichte, zwei Figuren, die so gebrochen und gezeichnet sind wie die Stadt selbst.


Wie haben Sie recherchiert - wie Sie richtig sagen, gibt es eine nur überschaubare Anzahl von Filmen, die die unmittelbare Nachkriegszeit thematisieren.


MÅNS MÅRLIND: Wenn es noch keiner gemacht hat, dann ist man entweder ein Genie oder ein Narr, wenn man es dann wagt. Zum Glück zerbreche ich mir über solche Dinge nicht den Kopf. Wenn ich die für mich richtige Geschichte gefunden habe, dann mache ich einfach. Mir war bewusst, dass kein Raum für Ungenauigkeiten war. Wenn man mit dem ZDF in einem Raum sitzt, darf man nicht rumeiern. Man muss überzeugen. Ich will mir in einem Gespräch mit deutschen Partnern oder Journalisten nicht vorwerfen lassen, ich würde mich nicht auskennen. Das bedeutete für mich, dass ich wirklich jedes Buch über die Zeit direkt nach dem Krieg gelesen habe, das mir in die Hände fiel. Davor hatte ich eine ungefähre Vorstellung; ich wusste soviel wie jeder andere auch. Danach war ich fit. Was für eine unfassbar spannende Zeit!


Wie wichtig war Ihnen in diesem Zusammenhang historische Genauigkeit?


MÅNS MÅRLIND: Es ist ein Fundament. Aber ich wollte keine Dokumentation machen. Fakten haben zwei Funktionen: Sie verstärken das Drama. Und sie unterstützen die Wahrhaftigkeit. Wenn das Publikum glaubt, dass die Geschichte wirklich direkt nach dem Krieg spielt, wird es stärker in die Handlung gezogen. Aber wenn man sich zu sklavisch an historisch überlieferte Fakten klammert, dann treibt man seinem Film alles Leben aus. Die Kunst besteht darin, den richtigen Mittelweg zu beschreiten. Es ist wie in der Küche: Man will nicht zu sehr würzen, aber man will auch nicht, dass es fad schmeckt.


Gab es filmische Vorbilder, von denen Sie sich inspirieren ließen?


MÅNS MÅRLIND: Ganz klar: Nein. Im Gegenteil. Ich habe es mir explizit untersagt, mir ["Der dritte Mann"](/movie/der-dritte-mann) anzusehen. Ich will nicht die Bilder anderer Filme in meinen Kopf herumspuken haben. Vorbilder waren mir nur insofern wichtig, als dass ich in "Schatten der Mörder - Shadowplay" ein Berlin nach dem Krieg zeigen wollte, wie man es noch nie gesehen hat. Ich wollte keine kalte Stadt zeigen, die von Grau und Blau dominiert wird. Ich wollte mein Berlin aussehen lassen wie das Syrien, wie man es aktuell in den Nachrichten sieht. Man sieht die unfassbare Zerstörung, aber es scheint immer die Sonne, die Menschen schwitzen. Die Nachrichten waren also mein eigentliches Referenzsystem.


Wenn man den Inhalt von "Schatten der Mörder - Shadowplay" liest, könnte man sich darunter auch einen reizvollen Kinofilm vorstellen. Warum haben Sie ein Serienformat gewählt?


MÅNS MÅRLIND: Es gab so viel zu erzählen, ich hatte so viele Figuren, dass es unmöglich gewesen wäre, das in einen Film zu packen. Es ist in der Tat unmöglich, all das, was ich über die Figuren und die Welt, in der sie sich bewegen, erzählen will, in einer einzigen Staffel zu erzählen, weshalb ich von Anfang an zwei Staffeln ins Auge gefasst habe. Klar, würde man "Schatten der Mörder - Shadowplay" auf die Hauptfigur und ihre Konflikte reduzieren, dann wäre das in einem Film möglich gewesen. Aber der eigentliche Reiz bestand darin, diesen Haupterzählstrang in einen ganzen Kosmos aus anderen Figuren und anderen Verweisen einzubetten, um sie noch überzeugender erzählen zu können. Aber ich bin noch nicht fertig. Bei "Midnight Sun", eine achtteilige Serie, die ich 2016 realisiert habe, war klar: Nach Staffel eins ist Schluss, da kommt nichts mehr. "Schatten der Mörder - Shadowplay" ist nach Staffel eins noch nicht abgeschlossen.


Wie wurde aus Ihrer Idee zu "Schatten der Mörder - Shadowplay" eine so aufwändige Serie mit deutschen und kanadischen Produktionspartnern?


MÅNS MÅRLIND: Filmemachen ist einfach. Es gibt schon auch mal Probleme, aber das ist der eigentliche Spaß. Ich liebe es, wenn alles im Chaos versinkt: 400 Statisten im Bild, Bewegung, Explosionen. Da werde ich ganz ruhig. Das ist, was ich mache. Das ist mein Job, das entspricht mir. Beim Schreiben ist es genauso. Da fühle ich mich sicher, da kann ich auf meine Talente vertrauen. Aber das Geld für einen Stoff auftreiben? Das ist hart, Mann!


Es ist ein schmutziger Job, aber einer muss ihn ja machen.


MÅNS MÅRLIND: Richtig. Immer wenn man sich mit jemandem mit einer Brieftasche hinsetzt, beschleicht einen das Gefühl, man wolle ihn übers Kreuz legen. Obwohl das völlig irrational ist und auch überhaupt nicht stimmt. Man kommt sich immer so vor, als müsse man lügen, weil man deren Geld haben will.


Bei "Schatten der Mörder - Shadowplay" ging es Ihnen auch so?


MÅNS MÅRLIND: Das ist ja genau die Sache: Eben nicht. Ich hatte das Drehbuch gerade fertig. Wir hatten ein "Midnight Sun"-Dinner in Cannes. Ein Produzent von Tandem kam zu mir an den Tisch und fragte mich, ob ich schon wüsste, was ich als Nächstes machen wollte. Ich habe ihm ganz knapp die Idee erzählt. Er fragte, ob er das Buch lesen dürfe. Ich habe es ihm gleich zugeschickt. Eine Woche später waren wir im Geschäft. Das war easy. Im Anschluss die gesamte Finanzierung zu stemmen, war dann nicht ganz so einfach. Aber wir hatten Glück. Das ZDF kam gleich zu Beginn an Bord und stärkte uns immer den Rücken. Man kann ein solches Projekt nicht machen, wenn man keinen starken deutschen Senderpartner an der Seite hat. Die Beteiligung des ZDF verlieh dem Projekt Glaubwürdigkeit. Das hat mir viel bedeutet. Die am Anfang in ein Projekt einsteigen, sind immer die Coolsten.


Das wird man beim ZDF gerne hören: Als "cool" wird das Zweite eher selten bezeichnet.


MÅNS MÅRLIND: Ich kann nur Gutes berichten. Man merkte, dass ihnen das Projekt am Herzen lag. Nur bei der Gewaltdarstellung gingen unsere Vorstellungen auseinander. Ich verstehe das. Als öffentlich-rechtlicher Sender müssen sie da konservativ sein. Aber für mich ist jede einzelne Einstellung wichtig. Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen. Ich zeige Gewalt nicht aus Selbstzweck - ich mache keine Tarantino-Filme. Wenn es Gewalt gibt bei mir, dann erzählt sie etwas über die Geschichte und die Figuren. Das ZDF stimmte mir auch zu. Aber "Schatten der Mörder - Shadowplay" wird zur besten Sendezeit ausgestrahlt, um 20 Uhr 15. Dem muss man dann einfach Rechnung tragen. Zum Abendessen dürfen auf dem Bildschirm keine Köpfe platzen.


Haben Sie den Eindruck, dass die großen öffentlich-rechtlichen Sender die inhaltliche Herausforderung der Streamer annehmen?


MÅNS MÅRLIND: Das schwedische Staatsfernsehen war vor zehn Jahren noch eine eher muffige Veranstaltung. Es hat sich seither aber komplett neu ausgerichtet, weil man gemerkt hat, dass sich der Geschmack und die Sehgewohnheiten des Publikums verändern. Vielleicht ist das beim ZDF ja auch so. Große Institutionen verändern sich nicht von heute auf morgen - wie es ja auch bei großen Schiffen eine Weile dauert, bis eine Kursänderung spürbar wird. Ich merke jedenfalls, dass Kreative bei den Öffentlich-Rechtlichen wieder ernster genommen werden, dass wir nicht mehr einfach nur als Lohnarbeiter angesehen werden. Mit lauwarmem Produkt punktet man heute nicht mehr. Der Lärm da draußen ist so groß, dass man nur gehört wird, wenn man Kanten zu bieten hat. Es schadet nicht, wenn die Streamer wie ein Stachel in ihrer Seite stecken und sie täglich daran erinnern, dass Veränderung unabdingbar ist.


Lange Zeit hat man aus Deutschland neidvoll nach Skandinavien geblickt, wo längst moderne Serien auf internationalem Niveau umgesetzt wurden, wovon man hierzulande zu diesem Zeitpunkt nur träumen konnte.


MÅNS MÅRLIND: Da haben Sie aber nur einen kleinen Ausschnitt dessen wahrgenommen, was für das Fernsehen in unseren Breitengraden produziert wird. Da ist weiterhin viel Ausschuss dabei. Davon bekommt man im Ausland nur nichts mit, weil es Stoffe sind, die gezielt für den heimischen Markt produziert werden und gar nicht für eine internationale Auswertung vorgesehen sind. Und auch von den Serien, die man schließlich im Ausland wahrgenommen hat, war nicht jede ein durchschlagender Erfolg. Was uns in jedem Fall geholfen hat, war der Glaube der Senderchefs an Freiheit. Freiheit bedeutet Möglichkeiten. Möglichkeiten bedeuten Risiko. Das führte dazu, dass die Redakteure zu uns gesagt haben: Ihr seid die Filmemacher, wir sind es nicht. Ihr macht das Produkt. Wenn sie einen Stoff abgesegnet haben, vertrauen sie uns. Dann muss man hoffen, dass sich das Vertrauen auszahlt. Zumindest war das meine Erfahrung bei ["Die Brücke - Transit in den Tod"](/tvshow/die-bruecke-transit-in-den-tod) und viele andere Serienprojekte, die ich realisiert habe. Man einigt sich auf ein Budget, dann sieht man sich acht Monate später wieder. Ein ziemlich einmaliges Arrangement.


Und der Grund, warum Sie immer wieder nach Schweden zurückgekehrt sind, obwohl Sie nach Regiearbeiten wie ["Underworld: Awakening"](/movie/underworld-awakening) sicherlich auch in Hollywood hätten bleiben und Marvel-Filme machen können?


MÅNS MÅRLIND: Tatsächlich gab es einen Marvel-Stoff, um den sich unser Agent nach "Underworld" für meinen Regiekollegen [Björn Stein](/person/bjoern-stein) und mich bemüht hat: Für ["Thor"](/movie/thor) wären wir prädestiniert gewesen. Aber dann haben wir früh den Stecker gezogen. Wir hatten keine Lust auf endlose Dreharbeiten vor Green-Screen, wir hatten keine Lust auf Comic-Gewalt. Lieber sind wir nach Schweden zurück, wo wir einen Film gemacht haben, der die Geschichte des schwedischen Popstars Håkan Hellström fiktiv nacherzählte. Von einem Karrierestandpunkt aus gesehen, war das recht beknackt. Wer hat schon bei Hollywood den Fuß in der Tür und zieht ihn aus eigenem Betreiben wieder raus? Aber es fühlte sich einfach besser an. Und vom aktuellen Standpunkt aus war es auch die richtige Entscheidung.


Eine Entscheidung, die Sie gemeinsam mit Ihrem regelmäßigen Regiepartner Björn Stein trafen. Wie muss man sich Ihre Zusammenarbeit vorstellen?


MÅNS MÅRLIND: Wir kennen uns von Kindesbeinen an. Ich stamme aus Stockholm, er kommt aus dem Westen des Landes. Unsere Familien hatten Ferienhäuser, die direkt nebeneinander lagen. Wir haben also immer den Sommer miteinander verbracht. Zusammen haben wir Dosen und Flaschen gesammelt, um uns genug Geld zu verdienen, im Dorf ins Kino gehen zu können, ein wunderschönes altes Kino. Dort beschlossen wir dann, erste kleine Kurzfilme zusammen zu drehen. Wenn wir heute zusammen Regieführen, heißt das, dass wir gemeinsam die Storyboards entwerfen, gemeinsam mit den Schauspielern proben, gemeinsam mit den Departmentheads alle Fragen abklären. Am Tag vor dem Drehstart werfen wir dann eine Münze: Wer Kopf hat, dreht an den geraden Tagen. Wer Zahl hat, dreht an den ungeraden Tagen. Der andere hält sich dann jeweils aus der Inszenierung raus, ist aber hinter dem Monitor anwesend und sorgt dafür, dass hinter den Kulissen alles reibungslos läuft. Das hat sich bewährt.


Und das soll auch so bleiben?


MÅNS MÅRLIND: Wir sind wie ein altes Ehepaar. Jetzt haben wir mit "Schatten der Mörder - Shadowplay" auch die erste Corona-Welle gemeinsam bewältigt, wobei ich anmerken muss, dass wir bereits 2019 gedreht hatten und während des Lockdowns nur noch mit Schnitt und Mix beschäftigt waren.


Wird Corona auf die von Ihnen angesprochene zweite Staffel einen größeren Einfluss haben?


MÅNS MÅRLIND: Während des Drehs der ersten Staffel habe ich meine freie Zeit genutzt, eine zweite Staffel zu schreiben. Das mag töricht sein, aber ich kann es nicht ändern. So bin ich nun mal. Jetzt müssen wir erst einmal abwarten, wie die erste Staffel läuft. Wenn sie ein Flop ist, muss man sich eine zweite Staffel nicht antun. Wenn wir aber erfolgreich sind, können wir sofort mit der zweiten Staffel loslegen. Ich scharre schon mit den Füßen, Mann!


Das Gespräch führte Thomas Schultze

"Schatten der Mörder"-Regisseur Måns Mårlind: "Freiheit bedeutet Möglichkeiten"