Blickpunkt:Film

Produktion

Nach ["Amelie rennt"](/movie/amelie-rennt) (Deutscher Filmpreis 2018, Bester Kinderfilm) legen Autorin/Schauspielerin [Jytte-Merle Böhrnsen](/person/jytte-merle-boehrnsen) und Regisseur [Tobias Wiemann](/person/tobias-wiemann) mit ["Der Pfad"](/movie/der-pfad) abermals einen besonderen Film für Kinder und Jugendliche vor. Wir sprachen mit dem Filmemacher-Ehepaar über den Film mit [Julius Weckauf](/person/julius-weckauf) in der Hauptrolle sowie [Volker Bruch](/person/volker-bruch) und [Anna Maria Mühe](/person/anna-maria-muehe) als Erwachsene in tragenden Nebenrollen, der heute im Verleih von Warner Bros. in die Kinos kommt.


Sie haben zwei sehr ungewöhnliche Familienfilme miteinander gedreht. Was waren die Familienfilme, die Sie geprägt haben, als Sie groß wurden?


JYTTE-MERLE BÖHRNSEN: Bei mir waren es ["Die unendliche Geschichte"](/movie/die-unendliche-geschichte) und "[ET - Der Außerirdische](/movie/et-der-ausserirdische)", bei Dir ["Die BMX-Bande"](/movie/die-bmx-bande), richtig?


TOBIAS WIEMANN: Ich bin in der DDR groß geworden. Da gab es für Kinder in erster Linie tschechische Märchen zu sehen. Nach der Wende war eines der ganz großen Ereignisse für mich ["Jurassic Park"](/movie/jurassic-park) und andere Hollywoodfilme, die einem eine ganz neue visuelle Welt aufgehen ließen. Aber stimmt schon, "Die BMX-Bande" mit der ganz jungen Nicole Kidman in einer ihrer allerersten Rollen, der damals auch in der DDR in die Kinos kam, hat mich mit seinem Freiheitsgefühl auch sehr beeindruckt.


JYTTE-MERLE BÖHRNSEN: Als Kind ist es einem egal, ob die Helden männlich oder weiblich sind, man identifiziert sich einfach mit den Hauptfiguren. Ich jedenfalls war ganz angetan von Atreyu in "Die unendliche Geschichte" und habe mich auch an Fasching als diese Filmfigur verkleidet. Es war wunderbar, in diese Welten eintauchen zu können.


Die Familienfilme, die Sie gemeinsam machen, sind realistischer und direkter mit der Erfahrungswelt von Kindern und Jugendlichen verbunden, aber Sie animieren ebenso zur Identifikation, zum Eintauchen in deren Erzählung.


TOBIAS WIEMANN: Als Filmemacher fühle ich mich angezogen von solchen Stoffen. Das sind die Geschichten, die ich erzählen will. Ich empfinde es als große Verantwortung, wenn man Filme für Jugendliche macht, genau zu überlegen, was man vermitteln will mit dem, was man erzählt und was man zeigt. Ebenso ist es mir aber wichtig, gut zu unterhalten. Man soll die Filme gerne sehen. Man soll mitgehen können, mitfiebern, sich identifizieren. Das Ziel ist es, jungen Menschen auf spielerische Weise etwas zu vermitteln. Deshalb ist es mir auch ein Anliegen, ein so großes Publikum wie möglich erreichen zu können mit den Themen, die mir am Herzen liegen.


Sie sind ein Ehepaar, haben selbst ein Kind - und machen gemeinsam Filme. Wie schwer ist es für Sie, das Private vom Beruflichen zu trennen, oder verschmilzt das miteinander?


JYTTE-MERLE BÖHRNSEN: Es verschmilzt. Drehbücher zu schreiben oder Filme zu inszenieren, ist für uns mehr als ein Job. Wir identifizieren uns sehr stark mit dem, was wir machen. Da kann man nicht morgens ein- und abends einfach wieder ausstempeln. Wir tauschen uns natürlich über die Arbeitszeiten hinweg aus. Das Tolle ist, dass wir uns auch in der Ästhetik treffen. Ich weiß genau, wie Tobi die Szenen visualisieren würde, was ihm Spaß machen würde umzusetzen. Der enge Dialog ist ideal für unsere Projekte, ich genieße es sehr, Filme auf diese Weise machen zu können.


Haben Sie den Eindruck, dass Sie einander gut ergänzen?


JYTTE-MERLE BÖHRNSEN: Unbedingt. Wir spielen uns die Bälle zu, arbeiten miteinander und füreinander. Tobi hat ein gutes Gespür für Humor, für die richtigen Gags zur richtigen Zeit, während mir stark die Botschaft unserer Geschichten sehr am Herzen liegt. Worum geht es? Was muss passieren? Was ist die Reise des Protagonisten? Das wird von mir in der Struktur verankert, damit Tobi für sich einen Weg finden kann, die richtigen Bilder zu finden. Ich halte einen engen Dialog zwischen Drehbuch und Regie immer für erstrebenswert. Bei uns ergibt sich das automatisch in der Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren.


TOBIAS WIEMANN: Ich schätze unsere Form der Zusammenarbeit sehr. Die Arbeitswege sind kurz. Und wir ergänzen uns einfach sehr gut in den verschiedenen Bereichen. Wir sind dabei sehr eng miteinander verbunden, können einander aber auch immer den nötigen Freiraum geben, dass wir uns entfalten. Jytte hat das Große und Ganze im Blick, Thema und Geschichte des Films. Das gibt mir die Freiheit, sehr speziell in Regie zu denken, den Blick auf Details zu richten. Wie lässt sich die jeweilige Szene visualisieren, der jeweilige Moment. Und natürlich, ganz wichtig, was lässt sich wie im Rahmen des möglichen Budgets machen? Es ist klug, sich damit so früh wie möglich zu befassen, damit man später nicht auf Engpässe trifft. Es klingt vielleicht langweilig, aber ich erachte uns als perfektes Team.


Wenn Sie Ihre Filme nach Fertigstellung betrachten, können Sie dann sagen: Es ist mehr Tobias Wiemanns Film oder mehr Jytte-Merle Böhrnsens Film geworden?


TOBIAS WIEMANN: Weder noch. Unsere Filme entstehen nicht in einem Vakuum. Wir erachten das Filmemachen als Teamarbeit. Drehbuch und Regie sind wichtige Bausteine, aber Kamera, Szenenbild, Kostüm, Schnitt spielen genauso große Rollen. Und die Schauspieler erst recht. Uns liegt ein Austausch und eine enge Zusammenarbeit am Herzen. Deshalb würde ich sagen: Es ist ein Film von uns allen.


JYTTE-MERLE BÖHRNSEN: Jeder bringt sein Bestes mit, und daraus entsteht in der Summe der Film. Deshalb ist es so wichtig, die richtigen Leute zu versammeln. Gut kann ein Film nur dann werden, wenn man sich gegenseitig beflügelt, angefangen bei der Entwicklung über den Dreh hin zur Fertigstellung. Ein Film ist ein Gemeinschaftsprojekt.


TOBIAS WIEMANN: Wie ein Film am Ende werden kann, entscheidet sich bereits zu dem Zeitpunkt, an dem das Team zusammengestellt wird. Das ist ein irre komplexer Prozess, niemals ganz einfach. Wenn ich weiß, dass Martin Schlecht als Kameramann an Bord ist, bin ich schon sehr froh. Ich habe alle meine Kinofilme mit ihm gemacht, und wir verstehen uns ohne viele Worte. Wir haben eine sehr ähnliche Vorstellung von visueller Gestaltung. Entsprechend müssen sich die einzelnen Gewerke in einem Film zusammensetzen wie Stücke in einem Puzzle. Natürlich habe ich ganz bestimmte Ideen für einen Film. Wichtig ist es sie auf die einzelnen Department-Heads verteilen zu können, die sie dann in ihren jeweiligen Bereichen mit Leben füllen können. Diese Vermittlungsarbeit ist neben dem Casting und der eigentlichen Inszenierung beim Dreh die Hauptarbeit, die ich als Regisseur habe.


Bei "Der Pfad" war das gewiss eine doppelt anspruchsvolle Arbeit.


TOBIAS WIEMANN: Zunächst hatten wir Glück, dass wir den ursprünglich angestrebten Drehtermin im März 2020 aufgrund eines Terminkonflikts einer unserer Hauptdarsteller noch einmal kurzfristig verschieben mussten. Wir wären sonst im Ausland mitten in den ersten Lockdown geraten, und wer weiß, wie es dann weitergegangen wäre. Aber natürlich hatten wir dann auch beim Dreh im September 2020 ganz unmittelbar den Virus als zusätzliches Hindernis bei einer ohnehin nicht ganz einfachen Produktion. In Covidzeiten mit zwei Kindern als Hauptdarstellern mit wenig Drehtagen im Ausland in den Bergen mit einem Hund zu drehen, war eine ganz eigene Herausforderung. Die Anforderungen waren komplex, um es freundlich auszudrücken.


Ursprünglich war "Der Pfad" ein Drehbuch von Rüdiger Bertram, aus dem im Anschluss ein Roman entstand. Was war für Sie die Grundlage, auf dem Ihr Drehbuch für den Film basiert.


JYTTE-MERLE BÖHRNSEN: Wir haben den Roman als Quelle gewählt. Das haben wir auch Rüdiger gesagt. In dem Roman steckt viel mehr drin, lass uns doch von ihm ausgehend das Drehbuch noch einmal komplett neu denken. Wir haben uns den Film mit Hilfe des Romans noch einmal neu erschlossen. Eine entscheidende Änderung, die wir vorgenommen haben, war unsere Entschluss, aus dem Jungen Manuel im Roman das Mädchen Nuria zu machen. Das erschien uns ein interessanterer Ansatz. Außerdem ist bei uns der Vater länger in die Geschichte eingebunden. Ich habe seit meiner Kindheit einen engen Bezug zu "Der 35. Mai" von Erich Kästner, das war eines der ersten Theaterstücke, die ich im Schauspielhaus gesehen habe. Mein Bruder stand damals mit auf der Bühne. Das hat mich sehr geprägt. Deshalb wollte ich Kästners Roman im Film noch ein bisschen präsenter machen, die Fantasie im Kopf von Rolf, der das Buch bei sich hat, stärker herauskitzeln und ganz eng mit dem traumatischen Verlust, den er erlebt, verbinden. Wie Kinder mit Verlust umgehen, wie sie Traumata verarbeiten, ist ein Thema, das mich stark beschäftigt.


Mit Kästner verbindet "Der Pfad" auch, dass man Seite an Seite mit den Kindern durch Ihren Film geht, wie das in seinen Kinderbüchern auch der Fall ist.


TOBIAS WIEMANN: Unser Zielpublikum sind etwas ältere Kinder und Jugendliche. Wenn sie sich auf einen Film einlassen sollen, muss er aus ihrer Sicht erzählt sein, brauchen sie Identifikationsfiguren. Natürlich hätte man diese Geschichte auch erwachsener erzählen können, man hätte mehr Elend zeigen und diverse Aspekte des Nationalsozialismus herausarbeiten können. Aber da wären wir unehrlich gewesen: Kinder nehmen die Welt anders war, ganz unmittelbar. Uns war wichtig, aus der Sicht von Rolf zu erzählen, wie er dieses Abenteuer erlebt, was in ihm vorgeht.


JYTTE-MERLE BÖHRNSEN: Kinder sind Riesen. Sie kommen auf die Welt und können alles sein, egal wo man geboren wird. Je älter wir werden, desto mehr beschneiden wir uns. Wir werden immer kleiner. Weil wir uns Sachen nicht mehr zutrauen, weil wir enttäuscht wurden, weil wir verletzt wurden. Die Perspektive des Kindes einzunehmen, hilft einem auch als Erwachsenen, Dinge unvoreingenommener zu sehen oder in Frage zu stellen, was man längst als gegeben hinnimmt. Es macht uns freier. Und wieder größer. Es ist schön, wieder eine neutralere Perspektive einnehmen zu können und sich vielleicht auch einzugestehen, dass man nicht alles versteht. Warum gibt es Krieg, warum kämpfen wir gegeneinander? Kinder fragen so etwas ganz unverblümt. Es schadet nicht, sich diese Fragen auch als Erwachsener hin und wieder einmal ganz unvoreingenommen zu stellen.


TOBIAS WIEMANN: Wir wollen auch Hoffnung vermitteln. Dass es gut ist, an sich zu glauben und daran, dass die Dinge nicht unbedingt schlecht ausgehen werden. Ich denke, damit berührt man nicht nur Kinder, sondern auch ein erwachsenes Publikum, das sich durchaus die Frage stellen soll, ob es nicht klug ist, den Kindern zuzuhören und ihnen zu vertrauen.


Sie haben den Film vor allem in der Natur in Katalonien gedreht. Ein heikles Unterfangen?


TOBIAS WIEMANN: Das Wetter hat uns immer wieder Streiche gespielt und die Arbeit auch erschwert. Aber das macht einen Dreh auch reizvoll. Es zeichnete sich aus, dass Jytte und ich so ein gut eingespieltes Team sind. Gemeinsam kann man viel besser und flexibler auf die Herausforderungen und Realitäten eines Drehs reagieren. Die Gegebenheiten machen eine Geschichte oft besser. Man muss nur mutig sein. Eine geplante Szene konnten wir nicht drehen, weil es einen Tag vor Dreh geschneit hatte, und mussten sie verlegen. Wir wollten aber unbedingt in den Schnee, um ihn zu nutzen für den höchsten Punkt, den die Kinder zu überwinden haben. Da mussten wir ein bisschen Überzeugungsarbeit bei der Produktion leisten, aber visuell hat es sich gelohnt. Oder die Szene, in der der Vater festgenommen wird. Sie stand wegen heftigster Sturmböen in den Bergen kurz vor Abbruch. Wir haben uns aber zum Glück durchgekämpft: Das extreme Wetter trägt jetzt wunderbar dazu bei, die Dramatik des Moments auszudrücken. Am nächsten Tag war es sonnig und windstill, perfekt für die Lethargie, die Rolf nach dem traumatischen Erlebnis empfindet. Schwierigkeiten können ein Geschenk sein. Man weiß es nur immer erst im Nachhinein.


Sie haben ein Weg zurückgelegt mit "Der Pfad". Ist der Film denn so geworden, wie Sie ihn sich vorgestellt haben?


JYTTE-MERLE BÖHRNSEN: Es sind immer drei Filme, die man dreht. Einen, wie man ihn plant und im Kopf hat. Einen, den man vorbereitet. Und einen, der am Schluss herauskommt. Alle drei machen mich sehr glücklich.


TOBIAS WIEMANN: Was wir uns vorgestellt haben und was wir bewirken wollten, konnten wir mit der Besetzung und dem Team noch besser umsetzen. Wir sind immer offen für das, was passiert im Verlauf einer Produktion, weil wir wissen, dass doch immer alles anders kommt als man denkt. Ich sehe mir jetzt den Film an und stimme Jytte zu: Ich bin sehr glücklich damit.


Das Gespräch führte Thomas Schultze.

Jytte-Merle Böhrnsen & Tobias Wiemann zum Start von "Der Pfad": "Miteinander und füreinander"