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Kino

Blickpunkt:Film: Von der menschlichen Zeitbombe in "Taxi Driver" zum Vertreter der Gewaltlosigkeit in "Kundun". War das ein weiter Weg?

Martin Scorsese: Ausgangspunkt ist die Religion. Ich bin in New Yorks Little Italy aufgewachsen, einem Viertel mit starken familiären Strukturen, wo man auf den Straßen Konflikte mit Gewalt löste, obgleich die katholische Kirche Nächstenliebe predigte. In meinen Filmen versuchte ich, diese beiden Extreme zu verbinden. Der Kreis schließt sich mit "Kundun".

BF: Gehört Gewalt zum Menschen?

MS: Jeder Mensch verfügt über ein Gewaltpotential. Mich interessierte immer der Punkt, an dem sie aufbricht und warum. Pazifisten halte ich inzwischen für sehr starke Kämpfer und die wahren Revolutionäre, die nicht wie die politischen mit Gewalt die Gesellschaft verändern wollen. Aus diesem Grund faszinierte mich die Figur des Dalai Lama, seine religiöse Überzeugung, mit der er auf Dialog und Verständnis setzt, auf Liebe und Leidenschaft. Deshalb zeige ich auch nicht, wie die Chinesen die Tibeter überrennen, - so etwas hat man schon hundertmal gesehen - sondern gehe emotionell und spiritueller tiefer, um dem Publikum die Folgen der Zerstörung einer Kultur zu vermitteln.

BF: Die Chinesen drohten Disney dennoch mit Konsequenzen...

MS: An "Kundun" scheitern die Geschäfte zwischen Disney und China sicherlich nicht. Disney wird sechs Milliarden Dollar in China investieren, Themenparks errichten und sich mit dem System arrangieren. Geld stinkt nicht. Jetzt, wo alles vorbei ist, kann ich das sagen. Aber mich wird man wohl nicht mehr einreisen lassen.

BF: Möchten Sie Ihren Regiejob nach 25 Jahren nicht manchmal an den Nagel hängen?

MS: Ich liebe meinen Beruf, aber die Abneigung gegen stressige und frustrierende Dreharbeiten, bei denen Kleinigkeiten und Reibungen den kreativen Prozeß stören, wächst. Buchentwicklung und Schnitt finde ich inzwischen viel interessanter.

BF: Wie verlief die Arbeit bei "Kundun"?

MS: Melissa Mathison und ich entwickelten 14 Drehbuchentwürfe, um dann wieder beim ersten zu landen, weil wir den Film historisch nicht überfrachten wollten. Die Dreharbeiten mit den tibetischen Laiendarstellern gestaltete sich äußerst harmonisch. Ich habe sehr viel von ihnen gelernt, vor allem Geduld. Etwas von der tibetischen Gelassenheit könnte der westlichen Welt nicht schaden. Beim Schnitt mußten wir dann vieles umstellen, um ein konventionelles Drama zu vermeiden. Wir haben fast zehn Monate im Schneideraum verbracht.

BF: Sie bedauern, daß es das klassische Kino nicht mehr gebe.

MS: Ich wäre gern Teil des klassischen Kinos gewesen, aber ich bin zu spät geboren. Ich komme aus den 60er und 70er Jahren, einer Zeit der Wagnisse, Experimente und außergewöhnlicher Kreativität. Wir hatten Visionen, wollten die Welt verändern. Mit  Und , beide vom selben Studio, endete 1980 die Epoche der Regisseure. Seitdem liegt die Macht bei den Studios und den Stars. Jetzt gibt es eine Zweiteilung des Marktes, Megaproduktionen wie  und am anderen Ende Independents mit Low-budget. Diejenigen in der Mitte, zu denen ich mich zähle, beißen die Hunde, da birgt das Filmemachen große Risiken. Es ist eine Ironie des Schicksals, daß so unterschiedliche Hollywoodproduktionen wie "Titanic" und "Kundun" (in den USA) am gleichen Termin starteten.

"Joe Roth ließ mir freie Hand"

BF: Ist das nicht eine zu pessimistische Sichtweise?

MS: Ich darf nicht klagen, weil ich immer Glück hatte und jeden Film machen konnte, den ich wollte, obgleich es keine Blockbuster waren. Das System arbeitete für mich. Die Studio-Executives, die an mich glaubten, nahmen mich beim Wechsel von einem Studio zum anderen mit. Kaum ein anderer Regisseur hätte die Chance gehabt, "Kundun" zu realisieren. Studio-Boss Joe Roth segnete mein Budget von 28 Mio. Dollar ab, mit der Bemerkung: "Verlange am Ende nicht 38 Mio.", und ließ mir dann freie Hand.

BF: Was motiviert Sie, weiter zumachen?

MS: Die Frage stelle ich mir schon seit Jahren. Brian de Palma, George Lucas und ich redeten uns Ende vergangenen Jahres bei einem Lunch die Köpfe heiß. Die Zeit rennt uns davon, stellten wir fest. Hitchcock oder Hawks drehten in unserem Alter ein Meisterwerk nach dem anderen. Das müssen wir auch. Aber wie lange läßt uns die amerikanische Filmindustrie noch? Da schwingen doch Schnapsfabrikanten das Zepter und starren nur auf finanziellen Erfolg. Da es mindestens zwei Jahre dauert, einen Film durchzuziehen, müssen wir uns beeilen, bevor man uns aufs Altenteil schickt.

BF: Wie steht es mit "Dino", der Verfilmung von Dean Martins Leben?

MS: Ich schreibe gerade das Drehbuch gemeinsam mit Nicholas Pileggi wie bei  und . "Dino" wird ein großes Hollywood-Movie mit Tom Hanks über den Wandel im Showbusineß. Hoffentlich finde ich bald ein Studio, damit ich im Herbst drehen kann.

Regisseur Martin Scorsese zu "Kundun'