Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Was reizte Sie, nach etwa 17 Adaptionen von Victor Hugos Sozialroman an einer neuerlichen Verfilmung?

BA: Ich halte "Les Miserables" für die schönste Geschichte über die Notwendigkeit der Liebe und die Kraft der Vergebung. Wir leben in einer Zeit, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht, die Konflikte zunehmen. Der einzige Weg zum Überleben in dieser unfriedlichen Welt ist der Respekt voreinander und die Fähigkeit, verzeihen zu können. Das heißt nicht, die Historie vergessen, sondern aus ihr lernen. Nelson Mandela verzichtete auf Rache und rettete damit wahrscheinlich Südafrika vor einem blutigen Bürgerkrieg. Das ist für mich eine moderne Version von "Les Miserables".

BF: Kann sich ein Period Piece heute gegen High-Tech-Produktionen durchsetzen?

BA: Ein gutes Drama mit starken Gefühlen kommt auch bei jungen Leuten an. Am Samstagabend läuft auf 30 Kanälen der gleiche Action-Schrott. Irgendwann hat man die Nase voll von Explosionen und neuen Techniken, da möchte man Menschen aus Fleisch und Blut mit tiefen Gefühlen. Einen Actionfilm mit Mord und Totschlag zu inszenieren, würde mich langweilen.

BF: Wie kam es zu dem Projekt?

BA: Mandalay Entertainmentbot mir das Drehbuch an, und es funkte sofort. Wenn ich einen emotionalen Zugang finde, dieStory meiner Moral entspricht,bin ich interessiert. Der Rest ging schnell. Normalerweise dauert es endlos, bis ein Star antwortet. Liam Neeson, unsere erste Wahl, gab seine Zustimmung postwendend. Ein halbes Jahr später konnten wir schon drehen."Neeson gab Zustimmung postwendend"

BF: Sie gelten als Perfektionist und ruhender Pol beim Dreh. Wie bereiten Sie einen Film vor?

BA: Man muß die Energien konstruktiv einsetzten, das nutzt dem Publikum. Chaos bei Dreharbeiten frißt sinnlos Kreativität und bringt Reibungsverluste. Ich suche die besten Leute und hole das Beste aus ihnen heraus. Mein Job ist es, Raum für Kreativität zu schaffen und die Entwicklung von Fähigkeiten sicherzustellen, den Rhythmus am Set so einzuteilen, daß die Kraft den ganzen Tag nicht nachläßt. Ich halte nichts davon, herumzuschreien und die Leute wie Idioten zu behandeln. Mit Angst weckt man keine Kreativität, es kommt auf gegenseitigen Respekt an."Die Verteufelung der Studios nervt mich"

BF: Wie lief es mit der amerikanischen Produktionsfirma?

BA: Die Verteufelung der Studios und Horrorstories aus Amerika nerven mich. In Europa ist es nicht viel besser. Mandalay und ich teilten eine Vision, sprachen die gleiche Sprache. Das ist Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit. Wenn Regisseure mit einem zu großen Ego glauben, das ganze System in Amerika umkrempeln zu können, sind sie auf dem Holzweg. Wer das Hollywoodsystem effektiv nutzen will, muß sich die richtigen Leute aussuchen und sehr professionell arbeiten. Dazu gehört auch, das Budget nicht zu überschreiten. Mit einigen Produzenten würde ich nie arbeiten. Probleme muß man im Vorfeld klären. Sich permanent zu streiten und im Schneideraum um jeden Meter Film zu feilschen, würde mein Selbstvertrauen ankratzten.

BF: Sie drehten drei Monate in Tschechien, eine Preisfrage?

BA: Für einen Historienfilm bietet Tschechien optimale Locations. Das Beste am Kommunismus war, daß das Geld zur Modernisierung fehlte. Die Barandov-Studios, in denen wir eine ganze Pariser Straße bauen konnten, sind großartig. Man hat jede Menge Platz, sämtliche technische Möglichkeiten, und gewiefte Experten stehen für einen akzeptablen Preis zur Verfügung. Bis zum letzten Kabelträger waren alle glücklich - wenn man einmal vom Wetter und vom Essen absieht.

BF: Nach "Das Geisterhaus" und "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" planen Sie ein neues Projekt mit Bernd Eichinger.

BA: Während der Arbeit an "Smilla" habe ich die Stille und Einsamkeit der Arktis schätzen gelernt, diese endlose Weite und das Verständnis von Ewigkeit. Dort muß man demütig sein und sich der Natur unterordnen. Den Wettlauf zwischen Amundsen und Scott zum Südpol halte ich für einen Wahnsinnsstoff. Bernd Eichinger war begeistert. Mandalay und Constantin Film werden "Scott and Amundsen" produzieren. Ein teures Projekt mit großen Szenen. Als Scott England verließ, feierte ihn eine halbe Million Menschen im Hafen. Drehorte sind Grönland, Australien und Neuseeland, Drehbeginn ist Winter 1999.

Regisseur Bille August zu 'Les Miserables'