Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Haben Sie das Drehbuch von Andrew Marlowe noch selbst bearbeitet?

Paul Verhoeven: Ich kam erst zu spät zu diesem Projekt, als es schon vom Studio komplett entwickelt war. Hier ist das Buch - wollen Sie es machen? Das war die Situation. Aber ich konnte dennoch Akzente setzen, Marlowes Skript hatte Ansätze zur Mehrschichtigkeit, ich musste sie nur herauskitzeln. Denn ich finde es etwas langweilig, eine eindimensionale Geschichte zu erzählen, sie wird viel spannender, wenn noch ein bisschen mehr dahinter steckt, zumindest für Entdeckungsfreudige. Mich hat das "Hollow Man"-Drehbuch gereizt, weil ich diese Plato-Idee darin entdeckte, die ich seit 1954 aus dem Gymnasium kenne: Der unsichtbare Mensch kann alles tun, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Er kann grenzenlos Verbrechen begehen und Gott spielen.

BF: Was Ihr "Hollow Man" auch tut.

PV: Allein die Story von der Gruppe der Wissenschaftler und deren Experimente mit der Unsichtbarkeit war mir nicht genug. Ich wollte auch die andere Ebene zeigen: Wie reagiert man auf die Tatsache, dass man aus allem ungestraft herauskommt? Der Unsichtbare - das ist die Metapher für den Diktator: Wie verändert die ungestrafte Machtausübung das Gehirn? Ich glaube, der Prozentsatz der Menschen, die Böses tun würden, ist gar nicht so gering.

BF: Für einen Studiofilm ist das eine nicht gerade populäre Philosophie.

PV: Ich weiß auch nicht, ob Drehbuchautor Marlowe von Plato wusste. Aber zumindest endete sein Skript nicht ganz so moralisch, wie es das Studio verlangte. Sebastian Cain, der Hollow Man, der selbst von sich sagt, ich bin Gott, stürzt am Schluss in die Hölle - er ist Satan. Das Studio bestand auf einem noch folgenden Dialog zwischen dem überlebenden Wissenschaftlerpaar. Mir ist es wenigstens gelungen, den Wink mit dem Zaunpfahl von der Wissenschaft als Teufelswerk mit der Mahnung, wir sollten nicht vom Baum der Erkenntnis essen, zu eliminieren.

BF: Gab es Auflagen für die Vergewaltigungsszene?

PV: Im Internet grassiert seit Monaten eine Geschichte, dass ich ursprünglich eine vier Minuten lange Vergewaltigungsszene gedreht hätte. Das stimmt nicht. Ganze zweieinhalb Sekunden fehlen von dieser Szene im Film, die in der DVD-Version wieder drin ist. Ich war mir von Anfang an nicht sicher, ob eine Vergewaltigung durch einen Unsichtbaren nicht lächerlich aussähe. Die Frau liegt auf dem Rücken und macht etwas blödsinnig aussehende Bewegungen. Trotzdem - ich wollte klar machen, was dort passiert. Eine andere Einstellung, in der die Frau danach weinend auf dem Bett sitzt, haben wir rausgenommen, weil sie zur Klärung der Situation nicht mehr nötig war.

BF: Haben Sie eine Erklärung für Ihre Faszination des menschlichen Körpers?

PV: Ich weiß nicht, ich erzähle immer wieder die Geschichte von meinen kindlichen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg, bei dessen Ende ich sieben Jahre alt war. Als eine Bombe in der Straße neben unserem Haus in Den Haag eingeschlagen war, sah ich am anderen Morgen zerfetzte Körperteile liegen, die in kleinen Holzkisten gesammelt wurden. Und ich sah ein anderes Mal einen Jungen, dessen Bein vom Fuß bis zur Hüfte aufgerissen war und den offen liegenden weißen Knochen erkennen ließ. Diese Verletzlichkeit des Körpers, die einem als Kind nie in den Sinn kommt, hat sich mir offenbar unauslöschlich eingeprägt und sich in meinen Filmen zu einer Art existenzialistischer Metapher entwickelt.

BF: Obwohl Ihre Filme in Hollywood nicht nur wohlgelitten sind, produzieren die Studios immer wieder mit Ihnen für nicht gerade kleine Budgets. Wie schaffen Sie das?

PV: Ich habe Glück. Allerdings werden auch die Studios allmählich kritischer. Bei "Robocop" gab es meine charakteristischen Themenbereiche schon, aber sie kamen mit einer größeren Leichtigkeit daher. "Hollow Man" dagegen ist ein sehr düsterer Film, in dem selbst die Überlebenden keine schuldlosen Gutmenschen sind. Ein prominenter US-Kritiker hat mir eine kräftige Idealismus-Injektion empfohlen. In den Vereinigten Staaten geht es immer nur um die Schönheit der Welt, um positives Denken und darum, optimistisch zu sein. Ich bin das nicht, aber ich bin auch nicht negativ. Die Amerikaner wollen einfach die unbequemen Seiten ihrer Wirklichkeit nicht wahrhaben.

BF: Vielleicht sollten Sie mal wieder in Europa drehen?

PV: Tatsächlich schwebt mir das auch vor, am liebsten mit meinem holländischen Autor Gerard Soeteman aus vergangenen gemeinsamen Zeiten von "Türkische Früchte", "Das Mädchen Keetje Tippel" und "Soldiers". Ich denke da an ein Projekt über den Zweiten Weltkrieg, das aus deutscher Sicht erzählt werden soll. Andererseits bin ich auch an einem Stoff nach Guy de Maupassant interessiert, der 1884 spielt und einfach nur von Menschen handelt - ganz ohne Spezialeffekte. Je kleiner das Budget, desto größer die kreativen Freiheiten, die man hat.

Paul Verhoeven zu "Hollow Man'