Blickpunkt:Film

Kino

Juliette Binoche hat heute Abend ihren ersten großen Auftritt als Präsidentin der Europäischen Filmakademie. Sie eröffnet die Gala und wird Wim Wenders den European Film Award für sein Lebenswerk. Anfang des Jahres wurde sie Nachfolgerin von Agnieszka Holland benannt. 

**Hat Sie der europäische Film in der Kindheit geprägt?**

Meine Mutter liebte Filme, und hat mich mit ihrer Leidenschaft infiziert. Meine Eltern waren auch sehr daran interessiert, dass ich früh Kunstwerke aus aller Welt kennenlerne. Deshalb hatte ich mich schon sehr früh daran gewöhnt, Untertitel zu lesen.

**Wie fühlen Sie sich vor Ihrem ersten großen Auftritt als Präsidentin der Filmakademie?**

Ich bin aufgeregt. Ich spüre eine Mischung aus Vertrauen in meine Vorbereitung und Angst, die ich von meiner Arbeit als Schauspielerin kenne. Vor dem Spiel möchtest Du am liebsten alles abblasen, weil es so schwierig scheint. Und wenn man dann vor der Kamera oder oben auf der Bühne steht, ist das ein bisschen wie beim Sport. Wann Du Deinen Geist in gute Stimmung versetzt hast, dann läuft es fast von allein. 


**Aber die Verantwortung lastet schon ein bisschen auf Ihnen?**

Es ist ein großes Privileg, nach diesen drei großen Regisseuren, Denkern und Künstlern an der Spitze der Akademie zu stehen. Wie Agnieszka Holland und Wim Wenders, deren Arbeit ich seit Langem bewundere, möchte ich nicht nur ein Aushängeschild sein. Ich versuche, mich Stück für Stück einzubringen und zu verstehen, wo ich aktiv sein kann 

**Ein bisschen dürfte es doch eine Rolle gespielt haben, dass Sie einer der großen Stars des Weltkinos sind?**
  
Wenn mein Name auf diese Weise genutzt werden kann, warum nicht?  Mit meinem Engagement möchte ich einem Zweck dienen, einer Idee. Ich möchte Künstlern helfen, ihre Geschichten zu erzählen. Und Wege öffnen, dass viele Zuschauer ihre Werke sehen, an ihren Werten teilhaben, und lernen, unsere Unterschiede zu akzeptieren un zu lieben. Nur so kann Verständigung gelingen.  

**Zugleich repräsentieren Sie mit Frankreich eines der großen europäischen Filmländer?**

Das hatten die Mitglieder des Boards wohl im Hinterkopf, als sie mich ansprachen. Die Franzosen waren immer bei der EFA dabei, aber nie aktiv genug. Außerdem wollen wir die Finanzierung unserer Arbeit auf mehrere Schultern verteilen. Im Moment trägt Deutschland, vor allem die Stadt Berlin, die Kosten. Wir hoffen jetzt auf die Hilfe des CNC und der französischen Regierung, wenn sie wieder arbeitsfähig ist. 

**Wie hoch ist der Zeitaufwand?**

Um die Reden oder die Laudatio auf Wenders für den heutigen Abend zu schreiben, brauche ich schon viel Zeit. Ich habe mir alle Filme von ihm angesehen, und das sind ja nicht unbedingt kurze Werke. Kein Film hat eine Laufzeit unter zwei Stunden. Ich war begeistert, einige Filme zu entdecken, die ich noch nicht gesehen hatte. Das hat Spaß gemacht, aber kostet auch Zeit. Denn ich wollte die Laudatio unbedingt selbst schreiben. Sie soll von Herzen kommen, und seine Verdienste würdigen. Er hat die Filmkunst verändert und geprägt. Nicht zuletzt hat er viele Regisseure inspiriert. 

**Ihre Vorgänger verbanden Ihre Reden stets mit politischen Botschaften. Werden Sie dran anknüpfen?**

Ich werde Ihnen noch nicht verraten, was ich heute Abend sagen werde. Sie können aber sicher sein, dass ich die Konflikte in der Ukraine, in Palästina und Israel und auch die Situation in Georgien, die mich auch persönlich beschäftigen, ansprechen werde. 

**In diesem Jahr sind beinahe alle Nominierten hier. Was können Sie tun, damit es so bleibt?**
 
Viele Telefonate führen. Ich werde mein Bestes geben, bin aber nicht Gott. Ich denke aber, es ist ein großes Privileg, nominiert zu werden und dann eventuell zum Preisträger gekürzt zu werden. Ich erinnere mich genau an das glückliche Gesicht von Wim Wenders, als er mich auf der Bühne begrüßen konnte, als ich vor einigen Jahren den Ehrenpreis erhielt. Heute kann ich sein Gefühl noch viel besser verstehen. 

**Wim Wenders war lange Präsident, und konnte nicht mit Ehrenpreisen geehrt werden. Er war dann sicher die erste Wahl in diesem Jahr?**
 
Natürlich, wobei nicht ich über den Preis entscheide. Das ist dem Board vorbehalten. Ich freue mich sehr, dass die Akademie ihn für seine Verdienst ehrt. 

**Welche Ideen möchten Sie denn gerne durchsetzen?**

Sie wissen bereits, dass wir ab kommendem Jahr das Datum der Verleihung in den Januar verschieben, um in der Saison der Preisverleihungen zu sein. Wir versprechen uns von der Verschiebung eine erhöhte Aufmerksamkeit für den europäischen Film und die Preise. Die Zuschauer werden auch davon profitieren, weil noch mehr nominierte Filme dann in den Kinos waren oder sind. 

**Kann die EFA mehr leisten als nur die Verleihung der Filmpreise?**

Wir tun ja bereits einiges. Die Akademie hat eigene Initiativen zur Popularisierung von Filmen für Heranwachsende entwickelt, in diesem Rahmen lernen die jungen Zuschauer auch die Traditionen des europäischen Kinos kennen. Die Akademie unterstützt den Dreh von Kurzfilmen. Diese Aktivitäten sind sicher noch ausbaufähig. Ich habe angefangen, Interviews mit Regisseuren und Schauspielern zu führen. Wir sprechen darüber, was ein europäischer Film ist, und von welchen Künstlern sie inspiriert wurden. Filme leben nur, wenn wir bereit sind, uns auf fremde Kulturen und eigene Meinungen einzulassen und über das Gesehene zu kommunizieren. 

**Sind Sie optimistisch, was die Zukunft des europäischen Films betrifft?**

Es bleibt eine große Herausforderung, unsere vielen, großen Stimmen zu bewahren. Das europäische Kino war immer geprägt von herausragenden Filmemachern, die ihre ganz eigenen Handschriften hatten. Die European Films Academy versucht, dieses künstlerische Element und die Freiheit der Kunst zu schützen. Sie ist ja in Berlin gegründet worden, lange das Symbol der Teilung Europas. Nach dem Fall der Mauer wurde die Stadt das Symbol der Freiheit und für die Einheit von Ost und West. Europa muss nicht nur wirtschaftlich zusammenwachsen, es muss auch kulturell zusammenstehen - ohne die regionalen Unterschiede und nationalen Identitäten aufzugeben. Wir können uns andererseits den Regeln des Markts nicht verschließen. Filme müssen vom Zuschauer angenommen werden, sonst wird es schwer, weiter Filme zu drehen.

**Sehen Sie diesen Vorsatz in den nominierten Filmen erfüllt?** 

Absolut. Sie sind so vielfältig und spiegeln den unterschiedlichen Rhythmus des Alltags und die verschiedene Lebensweise auf dem Kontinent wider. Kein Film ist wie der andere, die Filmsprachen sind sehr ausgeprägt. Vor allem haben mich die Geschichten berührt, die sehr individuelle Schicksale erzählen. 
Hat sich die Situation für Filmemacherinnen in den vergangenen Jahren verbessert? 
Ich habe wirklich das Gefühl, dass es mehr Regisseurinnen gibt, die ihr Handwerk hervorragend verstehen. Für den César waren im vergangenen Jahr fünf Regisseurinnen nominiert. Ich bin sehr glücklich über diese Entwicklung. Als ich beim Film anfing, arbeiteten nur sehr wenige Frauen erfolgreich in diesem Beruf.

**Könnten Sie als Schauspielerin sagen, ob die Rolle für Sie von einem Autor oder einer Autorin geschrieben wurde?**

Schwierige Frage. Nein, ich glaube nicht. Vielleicht liegt es an mir, weil es für mich keine Rolle spielt. Ich blicke auf den Ansatz der Geschichte, welche Fragen sie stellt, mit welcher Sensibilität sie erzählt wird. Ich bin auch bei der Arbeit ziemlich direkt. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich einen anderen Weg der Kommunikation einschlagen muss, weil ich mit einer Regisseurin gedreht habe. 

**Wim Wenders war 24 Jahre lang Präsident. Sehen Sie sich selbst so lange in dieser Position?**

Ich würde dann ziemlich alt sein. In den vergangenen Monaten musste ich mich einarbeiten. Es war aber schwierig, einen gemeinsamen Termin mit den Mitgliedern des Boards zu finden. Den holen wir hoffentlich in Luzern nach. Wir werden sehen, wie lange ich gebraucht werde und wie lange ich das Ehrenamt mit meiner Arbeit verbinden kann. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es zeitliche Vorgaben gibt. Vier oder sechs Jahre wären für mich okay.  

Juliette Binoche: "Künstlern helfen, ihre Geschichten zu erzählen"