Blickpunkt:Film

Kino

**O1 – Die großen Namen ecken an**

Den Glamour findet man in [Locarno](/company/locarno-film-festival) auf der Piazza Grande. Der Concorso Internazionale ist immer schon eine Plattform für das anspruchsvolle und radikale Weltkino. Wenn also Schwergewichte wie der vormalige [Berlinale](/company/internationale-filmfestspiele-berlin)-Gewinner [Radu Jude](/person/radu-jude), der vor einem Jahr in Locarno mit den Spezialpreis hatte gewinnen können, oder der vormalige Cannes-Gewinner [Abdellatif Kechiche](/person/abdellatif-kechiche) ihre neuen Filme in Locarno präsentieren, dann hat das nicht damit zu tun, dass sie zu schwach für [Cannes](/company/festival-de-cannes) oder [Venedig](/company/mostra-internazionale-darte-cinematografica) wären, sondern im Zweifelsfall zu avantgardistisch oder experimentell: 

In Locarno ist man besser aufgehoben, auch wenn sich die Geister dann auch an den großen Namen scheiden. Nachdem Radu Jude vor einem Jahr eine regelrechte Woge der Begeisterung ausgelöst hatte mit seinem „[Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt](/movie/do-not-expect-too-much-from-the-end-of-the-world)“ (und den Spezialpreis der Jury gewinnen konnte), erwies sich sein „Dracula“ mit 170 Minuten Laufzeit und seiner wilden Lust am Fabulieren und ineinander Schachteln von Erzählungen und Geschichten als zuviel des Guten. Abdellatif Kechiche wiederum war mit seinem „Mektoub, My Love: Canto Due“ nicht nur mit einer Laufzeit von 132 Minuten wesentlich zurückhaltender als in seiner jüngsten Arbeit, dem fast vierstündigen „Mektoub, My Love: Intermezzo“, der 2019 im Wettbewerb von Cannes mit seinen endlosen Bildkaskaden wackelnder Frauenhintern für Ratlosigkeit gesorgt hatte. Auch erzählerisch hat sich der 64-jährige Filmemacher nach dem Intermezzo wieder beruhigt, bringt Struktur und Übersicht in die Sache. Geredet wurde in Locarno allerdings in erster Linie über seine Abwesenheit. Amerikanische Journalisten mutmaßten, Kechiche wolle seiner in Locarno anwesenden Darstellerin [Ophélie Bau](/person/ophelie-bau) aus dem Weg gehen, die ihn nach „Intermezzo“ beschuldigt hatte, sie nicht darüber in Kenntnis gesetzt zu haben, dass er die beim Cunnilingus mit ihrem Freund auf dem Frauenklo entstandenen Aufnahmen auch im Film verwenden wolle. Der tatsächliche Grund scheint dramatischer: Kechiche muss sich von einem Schlaganfall erholen, der wohl auch sein Sprachzentrum betroffen hat. 

**02 – Die Trumpfasse stechen**

Ein ausgesprochen gutes Händchen beweist Locarno in diesem Jahr mit der Auswahl seiner Stargäste. Dass einer von ihnen, die legendäre, vierfach oscarnominierte Kostümbildnerin [Milena Canonero](/person/milena-canonero), kurzfristig alle geplanten Interviews absagen ließ, und auch [Golshifteh Farahani](/person/golshifteh-farahani) am Eröffnungsabend etwas zurückhaltend blieb (dann aber überglücklich)  – geschenkt, keine große Sache. Die anderen waren umso nahbarer und enthusiastischer, je größer ihre Namen: [Willem Dafoe](/person/willem-dafoe), der keinen Preis erhielt, sondern einfach nur seinen neuen Film, „The Birthday Party“, auf der Piazza Grande vorstellte, zeigte sich bestens aufgelegt, machte Small Talk. [Emma Thompson](/person/emma-thompson) hielt ihre Dankensrede vor 6000 Menschen komplett auf Italienisch. Und [Jackie Chan](/person/jackie-chan) erwies sich als der gefragteste aller Stars, sorgte für Menschenaufläufe, spontanen Jubel, wo immer er in traditionellem chinesischen Gewand und zwei Plüsch-Pandas auf dem Arm auftauchte. Und auf der Bühne ließ er es sich nicht nehmen, den legendären [Bruce-Lee](/person/bruce-lee)-Film „Enter the Dragon“ nachzustellen. Läuft. 

**03 – Die deutschen Filme überzeugen**

Wie immer ist Locarno ein gutes Pflaster für den deutschen bzw. österreichischen Film. [Julian Radlmaiers](/person/julian-radlmaier) „[Sehnsucht in Sangerhausen](/movie/sehnsucht-in-sangerhausen)“ ([hier unsere Besprechung](https://www.blickpunktfilm.de/kino/locarno-weltpremiere-review-locarno-sehnsucht-in-sangerhausen-von-julian-radlmaier-30a7f4c905e4e4f58fa26b4376bc4141)) kam sogar so gut an, dass die Kollegen von der FAZ den Film aktuell als Topkandidaten für den Goldenen Leopard handeln. Gefördert von [BKM](/company/dieder-beauftragte-der-bundesregierung-fuer-kultur-und-medien), [MDM](/company/mitteldeutsche-medienfoerderung), [DFFF](/company/dfff-deutscher-filmfoerderfonds), [Medienboard Berlin-Brandenburg](/company/medienboard-berlin-brandenburg), [German Films](/company/german-films-service-marketing). Wir wiederum waren außerdem zutiefst angetan von dem in Hamburg gedrehten (und entsprechend von der [MOIN](/company/filmfoerderung-hamburg-schleswig-holstein) geförderten) „Donkey Days“von Rosanne Pel mit der Entdeckung Jil Krammer und [Susanne Wolff](/person/susanne-wolff) als sich liebende und bekriegende ungleiche Schwestern im Schatten ihrer 84-jährigen Übermutter. Und uns gefiel der eigenwillige und noch eigenwilliger entstandene „White Snail“ (hier unsere SPOT-Besprechung), an dem Elsa Kremser und Levin Peter zehn Jahre gearbeitet haben und dafür unter anderem Russisch gelernt haben. Auf der Piazza Grande überzeugte der Actionthriller „The Dead of Winter“ ([hier unsere Besprechung](https://www.blickpunktfilm.de/kino/emma-thompson-im-zentrum-review-locarno-the-dead-of-winter-48c1be28e024e7183275c0b22234b497)) von[ Brian Kirk](/person/brian-kirk), in dem Emma Thompson als weibliche Antwort auf [Liam Neeson](/person/liam-neeson) überzeugt. Hier ist die Kölner [augenschein Filmproduktion](/company/augenschein-filmproduktion) mit dem [ZDF](/company/zdf) und [LEONINE Studios](/company/leonine-studios) als deutscher Koproduktionspartner an Bord; die [Film- und Medienstiftung NRW](/company/film-und-medienstiftung-nrw) war Förderer. 

**04 – LocarnoPro überzeugte wie gewohnt**

Auch die Industry-Schiene des Locarno Film Festival, LocarnoPro, geleitet von Markus Duffner, wird hochgeschätzt. Zurecht, wie man in diesem Jahr mit hochkarätigen Rednern und Panelisten wie [Berlinale](/company/internationale-filmfestspiele-berlin)-Chefin [Tricia Tuttle](/person/tricia-tuttle) und Hollywood-Manager [Stuart Ford](/person/stuart-ford) unterstrich. Bei der Verleihung der Industry-Preise im Rahmen des 78. Locarno Film Festival wurden auch zwei österreichische Stoffe (einer davon mit deutscher Beteiligung) ausgezeichnet. Der in Entwicklung befindliche Kinostoff „Das Blühen einer Chimäre“ wurde sogar zweifach bedacht. Das Projekt des österreichischen Autors und Regisseurs Simon Maria Kubiena, produziert von Elli Leeb & Fabian Leonhardt, wurde mit dem Alphapanda Market Breakout Award und dem MIDPOINT Consulting Award ausgezeichnet. Und das in Entwicklung befindliche Projekt „Im Verborgenen“ von [Goran Rebić ](/person/goran-rebic)hat den Masé Studio Postproduction Award gewonnen. Produzent:innen sind [Alexander Dumreicher-Ivanceanu](/person/alexander-dumreicher-ivanceanu) von AMOUR FOU Vienna und [Bady Minck](/person/bady-minck) von AMOUR FOU Luxembourg. Die slowakische PubRes (Zuzana Mistríková) ist Produktionspartner.


**05 – Die Wetterlage**

Ist es heiß? ES IST HEISS. Ächz.

In Partnerschaft mit unserer Schwesterpublikation THE SPOT media & film.

Halbzeit in Locarno: Die fünf Takeaways bis jetzt