Blickpunkt:Film

Kino

[Steve McQueen](/person/steve-mcqueen_0) gelingt mit seinem Kriegsdrama großes, klassisches wie bewegendes Kino. 

Eine herzzerreißende Szene steht gleich am Anfang des Films: Ein Junge schmettert seiner
Mutter an einem Londoner Bahnsteig entgegen: „Ich hasse dich!“. Der kleine George (Elliott
Heffernan) muss seine Heimat verlassen, nicht etwa, weil seine Mutter ([Saoirse Ronan](/person/saoirse-ronan)) ihn loswerden möchte, sondern weil die britischen Behörden im Jahr 1940 – mit dem Beginn der Luftangriffe auf die britische Hauptstadt durch Nazideutschland – verfügten, Millionen von Kindern aus den Großstädten aufs vermeintlich sichere Land zu evakuieren. Schmerz und Verzweiflung der Mutter über den furchtbaren Abschied von ihrem Sohn werden in Steve McQueens neuem, für Apple TV+ produzierten Spielfilm „[Blitz](/movie/blitz_c)“ erfahr- wie fühlbar. Die geschlossene Fensterscheibe des Zuges ist bei der Abfahrt zwischen den beiden. Die Mutter draußen appelliert an den Jungen, ihr den Blick noch einmal zuzuwenden, doch George wendet sich entschlossen ab. Werden die beiden sich je wiedersehen? 

Ausgangspunkt für sein neues Spielfilmprojekt (zuletzt mit „Occupied City“ und „Small Axe“ zu sehen) war ein Foto, das einen schwarzen Jungen mit übergroßem Gepäckstück zeigte. Wer mag dieser Junge gewesen sein, fragte sich McQueen und liefert mit „Blitz“ nun eine fiktionale Antwort. Das London der 40er-Jahre ist bei McQueen eine Gemeinschaft widerstreitender Interessen. Ein tiefer Rassenkonflikt prägt die englische Gesellschaft. Der schwarze Junge George, grandios einnehmend gespielt vom Debütanten [Elliott Heffernan](/person/elliott-heffernan), erfährt den Hass selbst in der Straße, in der er aufwächst und mit den Nachbarkids spielt. Immer wieder schikanieren ihn Rowdys, nennen ihn „schwarzer Bastard“ oder ähnliches. Georges weiße Mutter versucht ihren Jungen so behütet wie möglich aufwachsen zu lassen. Gemeinsam mit ihrem Vater (sehr charismatisch: Paul Weller) bewohnen die drei ein Haus in einem Londoner Arbeiterviertel. Der Bombenterror der Nazis wird während der Brandnächte viele Londoner Quartiere unbewohnbar machen und Zehntausenden das Leben kosten. Während derweil zahllose Minderjährige aus der City evakuiert werden, wird George zum Ausreißer aus der staatlichen Obhut und macht sich zurück auf den Weg nach London auf der Suche nach seiner Mutter. 

Steve McQueen inszeniert die Odyssee des Jungen George in Kriegszeiten als vielschichtiges Gesellschaftsbild, nicht so sehr als eine Gemeinschaft, die angesichts des
Angriffes auf das Land zusammenrückt, sondern deren Widersprüche und Ungerechtigkeiten noch umso deutlicher zutage treten. Die Bombardierungen werden auch für Zuschauer zu desorientierenden Alptraumszenen, deren Bilder und Klänge sich tief ins Bewusstsein bohren. Aufheulende Sirenen und das Dröhnen der Kampfflugzeuge finden ihren Niederschlag auch im unheilvollen Score von Hans Zimmer. Doch finden sich auch tröstliche Töne in McQueens Kriegsdrama. Dann etwa, wenn die Arbeiterinnen in der Munitionsfabrik, in der Mutter Rita arbeitet, zusammenrücken oder wenn ein schwarzer Wachmann zum
Lebensretter von George wird, ein wahrer Engel von einem Mann (CJ Beckford) und tapferes
Rolemodel. „I am black“ wird George nach dieser Begegnung erstmals voller Stolz sagen.
McQueen gelingt mit „Blitz“ ein großer, klassisch erzählter wie bewegender Kinofilm, der in
der Award-Season die ein oder andere Rolle spielen dürfte.

REVIEW KINO/STREAMING: „Blitz“ von Steve McQueen