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Kino

Blickpunkt:Film: Was gab die Initialzündung für "Lola rennt"?

Tom Tykwer: Es gibt immer wieder Bilder, die sich in meinem Kopf festsetzen, die ich gerne verfilmen würde. Wenn man aber keine Geschichte hat, in der man sie unterbringen kann, hat es keinen Sinn, sie auf Film zu bannen. "Lola rennt" hat seinen Ursprung in einem dieser Bilder: Ich hatte diese Frau mit roten Haaren vor Augen, die unentwegt rennt und verzweifelt, leidenschaftlich und bewegt ist. Dieses Bild ist für mich ein Aufhänger, was Kino eigentlich ist: Dynamik, Bewegung, Schnelligkeit, Leidenschaft und Emotion.

BF: Wie ging es weiter?

TT: Bei der Geschichte, die ich schließlich um dieses Bild aufbaute, blieb ich meinem Prinzip treu. Ich gab mir einfach Mühe, dem Titel, der schon sehr früh existierte, gerecht zu werden. Allein der setzt eine ganz bestimmte Assoziationskette frei. Wenn man daraufhin einen Film macht, der lahm, ohne Tempo und nicht wenigstens ein bißchen verrückt ist, dann hat man versagt. Dem wollte ich unbedingt standhalten.

BF: Das inhaltliche Tempo setzte sich auch bei der Arbeit hinter der Kamera fort: "Lola rennt" entstand sehr schnell.

TT: Wir hatten bei X-Filme gerade zwei große Brocken hinter uns gebracht. Mit "Das Leben ist eine Baustelle" und "Winterschläfer" sind wir extrem in finanzielle Vorleistung gegangen, lagen zwar gut im Rennen, aber es war schwierig, den Betrieb am Laufen zu halten. Wir standen vor der Entscheidung, einen neuen Kredit aufzunehmen, eine Bank zu überfallen oder noch einen Film zu drehen. Ich war zwar noch mit der Postproduktion von "Winterschläfer" beschäftigt, aber schon anhand des Exposes von "Lola rennt" konnten wir die Finanzierung auf die Beine stellen. Also schob ich sehr schnell das Drehbuch nach. Ja, man könnte wirklich sagen, daß auch wir durch den Film gerannt sind.

BF: Wie lange haben Sie gebraucht, bis der Film drehbereit war?

TT: Vom Expose bis zum fertigen Drehbuch vergingen gerade einmal neun Monate. Das ist schnell. Ich muß aber auch nicht immer noch größere Filme drehen. "Lola rennt" kostete drei Millionen Mark und war preiswerter als "Winterschläfer". Die meisten Fernsehspiele liegen in diesem Budgetbereich, aber für das Sujet ging das in Ordnung. Im vergangenen Sommer haben wir den Film in sieben Wochen gedreht. Die sehr komplexe Postproduktion kostete mich dann ein ganzes Jahr.

BF: Ist "Lola rennt" ein bewußter Gegenentwurf zu dem aufwendigen "Winterschläfer"?

TT: Das kann man nicht sagen: "Lola rennt" ist wenigstens ebenso komplex und inhaltlich anspruchsvoll - ohne daß es allerdings anstrengend ist, sich ihm inhaltlich zu nähern. Das ist das Ziel. Ich will Filme machen, die auf inhaltlicher Ebene absolut keine Kompromisse eingehen, aber zugleich hundertprozentig lustvoll anzusehen sind, die unterhaltsam und aufregend sind. Filme, die Anspruch nicht als Kennzeichnung vor sich hertragen, sondern ihn selbstverständlich mitbringen.

BF: Ist die Reaktion des Publikum dann auch Maßstab?

TT: Ja, aber man muß realistisch bleiben. Man kann nicht einfach sagen, daß ein Film, der unter einer Million Besuchern bleibt, nicht gut ist. Aber es gibt ein bestimmtes Spektrum für jeden Film. Bei "Winterschläfer" war ich überzeugt, 300.000 Leute erreichen zu können. Wenn man das nicht schafft, dann war der Film nicht gut genug. Ich bin stolz auf den Film, aber da wäre mehr rauszuholen gewesen.

BF: Spüren Sie den Druck, daß X-Filme bei jedem Film mit einem Mißerfolg in eine brenzlige Situation geraten könnte?

TT: Eher im Gegenteil: Das stimuliert mich, ich fühle mich davon angespornt. Ich habe mich dem Filmemachen mit Leib und Seele verschrieben und begleite jedes Projekt über zwei Jahre hinweg von den Anfängen bis zur Fertigstellung. Da finde ich es eigentlich gut, daß sie für uns diese Bedeutung haben. Wir können es uns nicht leisten zu sagen, naja, egal, ob ein Film gut wird oder nicht. Es ist unheimlich wichtig, daß jeder unserer Filme gelingt und unseren Ansprüchen genügt. Die Angst vor dem Scheitern besteht für mich nur auf dieser Ebene: daß er unseren Ansprüchen nicht genügt.

BF: Wie sehen Sie die Situation des deutschen Films?

TT: Ich finde es sehr aufregend und frisch, was gegenwärtig passiert: Im nächsten halben Jahr gibt es so viele unterschiedliche Filme, die aus unterschiedlichen Regionen stammen, die alle sehr vielversprechend sind, sowohl was Publikumsattraktivität als auch persönliche Eigenheit und inhaltliche Ausrichtung betrifft, Filme wie Doris Dörries "Bin ich schön?", die neuen Filme von Detlev Buck, Hans-Christian Schmid und Dani Levy, "Aimee und Jaguar", Fatih Akins "Kurz und schmerzlos", "Plätze in Städten" - alle Spektren werden da bedient, vom Publikumsrenner zum anspruchsvollen Kunstfilm. Wir müssen nur achtgeben, daß das Mittelfeld gut bespielt ist. Da haben wir das gleiche Problem wie unsere Nationalmannschaft, nur daß wir es beim Film wenigstens zu lösen versuchen, indem wir Vielfalt beweisen.

Interview mit Tom Tykwer zu 'Lola rennt'