Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Sie haben hier in [Cannes](/company/festival-de-cannes) erstmals den "Neue Talente"-Preis der Europäischen Union verliehen. Was ist der Hintergrund für die neue Förderlinie und den damit verbundenen Preis?

Viviane Reding: In Cannes stehen die Stars von heute im Mittelpunkt. Es ist aber wichtig, dass wir auch morgen viele europäische Stars haben. Die bereitet man heute vor. Deshalb möchten wir die Ausbildung von Filmemachern europaweit fördern und die nationalen Angebote mit einander vernetzen. Unsere jungen Talente sollen lernen, nicht nur gute Filme zu machen, sondern diese auch noch richtig zu vermarkten. Deshalb erhält der Gewinner weder Trophäe noch Scheck. Stattdessen nehmen gestandene Filmemacher das junge Talent bei der Hand und zeigen ihm, wie man eine Finanzierung hinbekommt, einen Verleiher findet und wie man einen Film ins Ausland vermarktet.

BF: Sie haben eine Überprüfung der Filmförderungen in der EU innerhalb einer Frist von drei Jahren angekündigt. Was sind die kritischen Punkte für die Kommission?

VR: Wir haben bisher sämtliche nationalen Fördersysteme zugelassen. Das wird auch so bleiben. Die Filmindustrie ist nicht vergleichbar etwa mit der Stahlindustrie. Film ist nicht nur ein Wirtschafts-, sondern auch ein Kulturgut. Die jeweiligen nationalen und regionalen Förderungen sollen aber nicht internationale Koproduktionen erschweren oder gar verhindern. Es wird immer wieder Kritik laut, die dies beklagt. Wir werden die Auswirkungen der verschiedenen europäischen Beihilfe-Systeme auf den Film zunächst wissenschaftlich untersuchen. Auf Grund dieser Analyse werden wir dann sehen, ob die bisherigen Regelungen beibehalten werden können oder ob es verschiedene Anpassungen geben muss. Aber dies wird erst nach 2007 geschehen, wenn überhaupt. Im Mittelpunkt der Überprüfung wird insbesondere das Problem der Territorialisierung stehen.

BF: Strebt die Kommission eine Harmonisierung der nationalen Förderpolitiken untereinander und mit den EU-Beihilfen an?

VR: Nein. Die Zuständigkeiten sind gut verteilt. Wir konzentrieren uns auf die Phase vor und nach der Produktion eines Films.

BF: Sehen Sie nationale Beihilfen für den Vertrieb und Verleih ins Ausland als Konkurrenz?

VR: In diesem Punkt kann es keine Konkurrenz geben. Je mehr Anstrengungen gemacht werden, damit Filme auf Reisen gehen, desto besser. Schließlich liegt der Anteil europäischer Filme in Europa außerhalb ihrer Heimatländer bei nur zehn Prozent. Wenn "[Good Bye, Lenin!](/movie/good-bye-lenin)" in Frankreich oder Italien gesehen werden, ist das viel wirksamer als eine Rede über die deutsche Wirklichkeit. Neben dem kulturellen haben wir auch ein wirtschaftliches Interesse, dass die europäischen Filme auf Reisen gehen.

BF: Einen europäischen Binnenmarkt für Film gibt es mangels Masse nicht.

VR: Es gibt ihn nicht, weil die Distribution noch sehr an nationale Begebenheiten gebunden sind. Wir haben nicht das große paneuropäische Distributionssystem, das "Good Bye, Lenin!" gleichzeitig in Berlin, Paris, London und Helsinki herausbringen könnte. Daran arbeiten wir.
BF: Steht dahinter ein reines Distributionsproblem?

VR: Es gibt natürlich immer Filme, die im Ausland nicht funktionieren. Aber die Filme mit Herz werden überall verstanden. Almodóvars Filme zum Beispiel sind sehr spanisch, aber die Gefühle, die Seele, die er auf die Leinwand bringt, sind allgemein verständlich. Ein Film muss kein Europudding sein, um europaweit vertrieben werden zu können.

Übergangslösungen für Osteuropa

BF: Bedeutet ein Vertrieb europäischer Produktionen über die Landesgrenzen hinweg eine Zunahme innereuropäische Konkurrenz oder erhoffen Sie sich eine Erhöhung des Marktanteils im Verhältnis zu US-Produktionen?

VR: Eine Ausweitung des Anteils europäischer Filme in Europa ist auch im Interesse des jeweiligen nationalen Films. Wenn ich dem französischen Film helfen will, muss ich dem europäischen Film helfen. Eine solche Stärkung können wir nur erreichen, wenn Politik und Industrie Hand in Hand arbeiten.

BF: Wird es im neuen MEDIA-Programm ab 2007 grundsätz-liche Änderungen geben?

VR: Es gibt keine Revolution, sondern eine Stärkung der als richtig erkannten Elemente, zum Beispiel Beihilfen für einen europaweiten Vertrieb oder die Promotion des europäischen Films innerhalb wie außerhalb des Kontinents. Ich stelle mir vor, dass wir morgen, wenn wir die Mittel dafür haben, auf dem US-Markt gemeinsam und massiv mit vielen europäischen Filmen und Stars auftreten. Es gibt bei MEDIA vor allem Änderungen im Detail. So haben wir bisher vor allem in die berufliche Ausbildung investiert. In Zukunft wollen wir verstärkt die Filmschulen in Netzwerke einbringen und die jungen Filmemacher von einem guten Filmemacher zum anderen reisen lassen, damit sie sich das jeweils Beste von jedem aneignen.

BF: Welche Auswirkungen hat die EU-Erweiterung auf Ihre Filmpolitik?

VR: Die Erweiterung stellt uns im Filmbereich vor große Herausforderungen. Wir haben neue Länder in der Gemeinschaft, die einst große Filmnationen waren, inzwischen aber mit enormen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Sie verfügen aber über das Potenzial für große Filme. Die Minister der Beitrittsländer erhalten hier in Cannes das Versprechen, dass wir solidarisch sein werden, dass wir mit daran arbeiten, dem tschechischen oder dem polnischen Film - um nur zwei Beispiele zu nennen - wieder auf die Beine zu helfen. Dies wird auch den europäischen Film stärken. Wir müssen den Ländern Osteuropas auch helfen, wieder Filmtheater zu bekommen. Die Menschen dort gehen zurzeit kaum mehr ins Kino.

BF: Wie wird dies konkret aussehen?

VR: Es sind Übergangslösungen für einige Jahre vorgesehen, um den osteuropäischen Staaten den Einstieg in das MEDIA-Programm zu erleichtern. Einige Teilnahmebedingungen sind für sie im Moment zu schwer zu erfüllen.

Keine Reform der Fernsehrichtlinie

BF: Wie ist der Stand der Diskussion in Sachen EU-Fernsehrichtlinie?

VR: Die EU-Fernsehrichtlinie wird zum gegebenen Zeitpunkt nicht geändert werden. Auf Grund der öffentlichen Anhörungen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass eine überwältigende Mehrheit in Politik und Wirtschaft für eine Beibehaltung der momentanen Regelung ist. Allerdings habe ich an Stellen, an denen ich die Direktive interpretieren und erweitern kann, etwa bei der Werbung, bereits Änderungen vorgenommen. Der zweite Bereich, für den ich Neuregelungen versprochen habe, ist der Jugend- und Minderheitenschutz im TV. Dort werden wir kompakter und konzertierter vorgehen. Das wird aber kein Diktat aus Brüssel. Ich habe großes Vertrauen in die Selbstregulierung des Fernsehens. Deshalb sollte es eine kontrollierte Selbstregulierung geben. Der Gesetzgeber sollte nur einschreiten, wenn die Selbstkontrolle nicht funktioniert. Eine entsprechende Veröffentlichung der Kommission ist fertig und wird in nächster Zeit verbreitet.

EU-Kommissarin Viviane Reding zum MEDIA-Programm ab 2007