Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: In einer Traumszene tötet der Vater seine Tochter, das tatsächliche Ende lässt die Tochter am Leben. Wie hat sich das Thema Vergebung im Laufe der Produktion entwickelt?

Kim Ki-Duk: Im ersten Entwurf des Drehbuchs bringt der Vater die Tochter auf grausame Weise um, er begräbt sie lebendig. Im heutigen Korea wäre dieses Ende realistisch. Während der Produktion überlegte ich es mir anders. Auch andere brutale Szenen, in denen der Vater die Tochter schlägt, habe ich gestrichen und den Figuren durch Vergebung den Mut zum Weiterleben gegeben.

BF: Wie kam es zu diesem Sinneswandel?

KKD: Ich bin nicht nur Filmemacher, sondern auch Mitmensch. Im alltäglichen Leben passieren Dinge, die man vergeben sollte. Am Anfang war ich voller Wut, deswegen enthielt der erste Entwurf viel mehr Brutalität. Die Drehbuchentwicklung war ein Lernprozess für mich. Ich habe mich verändert und am Ende war ich viel toleranter und bereit für Vergebung. Mein Publikum sieht nur einen einzigen, den fertigen Film. Aber während der Entwicklung habe ich in meinem Kopf mehrere Filme gedreht.

BF: Noch einen Schritt zurück: Wie kamen Sie auf die Idee?

KKD: Durch die Nachrichten im Fernsehen. Zwei- bis dreimal in der Woche hört man von Minderjährigen, die sich prostituieren. Nach dem Gesetz werden Täter und Opfer bestraft. Als Filmemacher kann ich diese Tatsache von verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Ich habe gelernt, dass solche Probleme nur durch Vergebung zu lösen sind. Ich habe auch Mitgefühl für die älteren Männer entwickelt, die sich die Mädchen kaufen. Was hat sie dazu gebracht? Ich glaube, dass die koreanische Gesellschaft die Männer zur Einsamkeit und in die Arme dieser Mädchen treibt.

BF: Wollen Sie mit der Darstellung von lächelnden Prostituierten und sympathischen Freiern provozieren?

KKD: Ich war mir bewusst, dass es sehr provokativ ist und das Publikum heftig diskutieren würde. Aber ich wollte nicht provozieren. Es ist meine Überzeugung, dass man solchen Menschen verzeihen muss. Die Zuschauer werden ihre eigene Schlüsse ziehen. Ich zwinge niemanden, die gleichen Schlüsse wie ich zu ziehen.

BF: Wie haben Sie es geschafft, den Film in 13 Tagen zu drehen?

KKD: Ich hatte keine andere Möglichkeit, musste den Budgetrahmen von weniger als 400.000 Euro einhalten. Ich bin nicht stolz darauf, dass ich so wenig Zeit gebraucht habe. Es ist egal, ob die Dreharbeiten ein Jahr oder einen Tag dauern, es kommt darauf an, das Thema rüberzubringen. Bei der filmischen Qualität spielt die Anzahl der Drehtage schon eine Rolle.

"Mix aus europäischer und koreanischer Kultur"

BF: Sie arbeiteten mit sehr jungen Schauspielerinnen. Mussten Sie viel proben?

KKD: Die Infos, die die Schauspielerinnen für ihre Rolle brauchen, gab ich ihnen im Drehbuch. Wenn sie noch Fragen hatten, konnten sie zu mir kommen. Proben mag ich nicht. Wir machen auch nur ein, zwei, höchstens drei Takes. Mehr ist im Budget nicht drin. Gerade deswegen ist es für mich wichtig, mit ausgebildeten SchauspielerInnen zu arbeiten. Wir machen ein sehr genaues Casting, um die richtigen auszuwählen. Schauspieler, die schon sehr viel Erfahrung haben, sind schon eingefahren in ihrem Spiel, und es ist schwierig, mit ihnen zu arbeiten. Junge dagegen sind wie ein weißes Blatt Papier, auf das man noch schreiben kann.

BF: Warum machen Sie Ausstattung, Schnitt, Regie und Produktion selbst? Aus Budgetgründen oder weil Sie ungern die Kontrolle abgeben?

KKD: Beides, wegen Geldmangel und wenn ich selbst produziere, kann ich den Film drehen, wie ich will, ohne dass sich andere einmischen. Wenn ich Finanziers für meine weiteren Projekte finde, werde ich gern wieder selbst produzieren und mir diese Freiheit erlauben.

BF: Wie beeinflusste Sie Ihre Zeit in Europa?

KKD: Wenn ich nicht einige Zeit in Europa gewesen wäre, dann wäre ich nicht der Filmregisseur geworden, der ich heute bin. In der koreanischen Gesellschaft gibt es immer noch Einschränkungen, man kann sich nicht frei entfalten, wenn man nicht einen bestimmten Bildungs- oder gesellschaftlichen Stand hat. In Europa kann man sich dagegen frei entfalten, zumindest im kulturellen Bereich. Auf der politischen Ebene sieht es vielleicht anders aus. Mein Film ist ein Mix aus europäischer und koreanischer Kultur. Vielleicht kommen meine Filme deswegen beim europäischen Publikum besser an als beim koreanischen.

BF: Wollen Sie nicht wieder in Europa drehen, wenn Sie hier so gute Erfahrungen gemacht haben?

KKD: Mein nächstes Projekt dreht sich um ein koreanisches Mädchen in Europa. Mein zweiter Film "[Wild Animal](/movie/yasaeng-dongmool-pohokuyeok)" spielte auch schon in Paris. Momentan suche ich europäische Finanziers für meinen neuen Film, den ich vielleicht Ende dieses oder Anfang nächsten Jahres drehen werde.

Der koreanische Filmemacher Kim Ki-Duk zu "Samaria"