Blickpunkt:Film

Kino

BF: Im Jahr 1999 hat Columbia TriStar Rückgänge hinnehmen müssen. Wie blicken Sie ins neue Jahr?

Jürgen Schau:

Das vergangene Jahr war interessant, aber hart, wir hatten keine großen Blockbuster. Wir sind stolz auf das Abschneiden von "Big Daddy" und "Der Diamantencop", mit denen wir im zweiten Halbjahr gut zugelegt haben. Ich bin demütiger geworden, wir hat-ten viele Filme, die jenseits der typischen Zielgruppen lagen. Unsere Ausgangslage ist angesichts des neuen Line-Up sehr gut. "Der Knochenjäger" (20. Januar) ist bei Sneaks bereits fantastisch angekommen. Dann folgt unsere erste deutsche Produktion, "Anatomie" von Stefan Ruzowitzky mit Franka Potente in der Hauptrolle, auf die wir sehr stolz sind. "Das Ende einer Affaire" (24. Februar) von Neil Jordan, der vier Golden-Globe-Nominierungen bekommen hat, spricht ein anspruchsvolles Publikum an. Groß wird sicher "Der 200-Jahre-Mann" (2. März) mit Robin Williams als Mensch gewordener Roboter, ebenso der Familienfilm um die Maus "Stuart Little" (20. April), der viel Witz und Herz hat. Der neue Julia-Roberts-Film, "Erin - Eine wahre Geschichte" (6. April), könnte ihr größter Erfolg jemals werden. Viel versprechen wir uns auch von Roland Emmerichs "Der Patriot" (3. August), "Hanging Up" (30. März) mit Meg Ryan und "28 Tage" (27. April) mit Sandra Bullock, die auch nach Deutschland kommen soll. Wir haben 2000 mehr Filme und viele große Stars, das Ergebnis wird sicher besser als im vergangenen Jahr.

BF: Welche strukturellen und personellen Veränderungen brachte der Umzug nach Berlin?

JS: Wir sind der erste US-Major in Berlin und wurden hier auch von der Presse sehr freundlich aufgenommen. Das macht uns und das Mutterunternehmen in den USA schon stolz. Wir sind jetzt inmitten eines multimedialen Zentrums, zu dem auch die Kinemathek und die Marlene-Dietrich-Stiftung, Medien, die sich hier ansiedeln werden, und die großen neuen Kinos, die Kieft & Kieft betreiben, gehören. Man merkt aber auch, dass man in Berlin in höherem Maße gegen andere Medien konkurrieren muss. Ein Umzug bringt immer Belastungen mit sich. Besonders im Marketing gab es einige Bewegung, außer Birgit Richter und Martin Bachmann sind alle Mitarbeiter neu. Das Tagesgeschäft im Bereich der Presse und der Werbung wird weiter über eine Achse Berlin-München laufen, weil uns einige der Mitarbeiter ihr Know-how als Freie zur Verfügung stellen. Den Finanzbereich haben wir verjüngt, der neue Financial Controller Albert Zielinski hat diese Abteilung neu aufgebaut. Im März folgt der Umzug von Sony Consumer Products, die Bettina Köckler leitet. Im Vertrieb unter Gerd Bender gab es nur wenig Veränderung.

BF: Welche Rolle spielt "Anatomie" für Ihre deutsche Produktionstätigkeit?

JS: Wir wollen das Produktionsvolumen bei drei bis vier Filmen pro Jahr halten. Wir sind sehr zuversichtlich, was das Ergebnis für "Anatomie" angeht und starten den Film mit rund 350 Kopien und hohem Marketingaufwand. Das Genre der Horror-Romanze ist in Deutschland bisher nicht besetzt gewesen und die Testscreenings sind sehr erfolgreich verlaufen. Mit den Produzenten Claussen & Wöbke und Franka Potente hatten wir ein tolles Team, wir hoffen, dass der Film einen Boost für die nächsten Produktionen von Andrea Willson bringt.

BF: Wie beurteilen Sie als Verleiher den deutschen Kinomarkt?

JS: Als seinerzeit in Hürth das erste Multiplex eröffnete, war uns klar, das das den Markt sehr verändern würde. Die großen Kinos haben sich ja meist gut entwickelt, Berlin etwa wurde zu einem Prototyp eines guten Kinostandorts, während das riesige Potential in der Kino-Diaspora München ja noch brach liegt. Der Multiplex-Marktanteil liegt inzwischen bei 40 Prozent. Künftig wird es stark darauf ankommen, auch Zuschauer über 30 oder 40 zu erreichen. Wir sollten aber nicht wie hypnotisiert auf die Zahl von 200 Mio. Zuschauern blicken. Wenn wir einmal 190 Mio. Zuschauer haben, ist das auch schon toll. Das schaffen wir nur mit gemeinsamer Arbeit von Verleihern und Betreibern.

BF: 1999 sorgten Kinobetreiber für viel negative Presse, jetzt könnte es doch ein neues Boxoffice-Rekordjahr werden. Wie sehen sie die zurückliegenden Debatten?

JS: Ich denke, der Schuss ging nach hinten los. Börse und Banken sind sehr hellhörig. Dass Betreiber öffentlich ankündigen, den Jahres-Spitzenfilm "Star Wars" wegen ein paar Prozenten mehr Miete nicht zu zeigen, war fatal und hat sich auf die Börsenkurse sofort ausgewirkt. Eine gute gemeinsame PR der Kinobranche wäre sehr wichtig. Tatsächlich hatten wir ein sehr gutes Jahr. Filme sind kreative Produkte und brauchen gemeinsame Pflege von Verleihern und Kinos, das erfordert Fachwissen und Austausch.

"Mehr Staffelung der Verleihmieten nötig"


BF: Welche Wünsche haben Sie an die Kinoseite?

JS: Der Film muss wieder mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Dazu gehört auch, auf lokaler Ebene mehr zu machen. Wer heute ins Kino geht, wird durch ein Werbebombardement schon vor dem Film müde gemacht, statt durch Trailer Lust auf mehr Kino zu bekommen. Manche Kinos gleichen mehr und mehr Concession-Supermärkten, Filme verkommen zum Nebenprodukt. Sicher müsste man darüber reden, wie die geringeren Umsätze bei werbefreien Aufführungen aufzufangen wären. Hier sind neue Ideen gefragt.

BF: Wie sehen sie das Thema Verleihkonditionen?

JS: Als Verleiher sehe ich uns als Sachwalter der Produzenten, wir vergeben Filme an die Kinos, diese sollten sie ausreichend lang zeigen. Das reine Wochenend-Boxoffice-Denken ist falsch. Beim Preisgefüge ist manches aus dem Lot: Es geht nicht, dass die Eintrittspreise immer weiter steigen, die Kinos von den Verleihern aber alles billiger wollen. Jeder Film hat ein bestimmtes Potential, das es auszuschöpfen gilt. Schon jetzt ist es ja Praxis, Filme mit geringerem Marktpotential günstiger zu vermieten. Hier sollte man noch mehr Flexibilität erreichen, was auch heißt, dass Spitzenfilme teurer werden können. Insgesamt ist sicher mehr Staffelung bei den Verleihmieten nötig. Ich hoffe, dass wir da mit den Kinos in dieselbe Richtung fahren können. Wesentlich ist, dass man wieder mehr Respekt vor den Filmen hat und zu gemeinsamen Lösungen kommt.

BF: Wie sehen sie die Veränderungen auf dem Verleihermarkt?

JS: Der Einfluss der Kapitalmärkte ist enorm gestiegen. Der Erfolg einer Kinowelt ist schon sehr beeindruckend. Nur: Man muss immer noch gute Filme haben, sie pflegen, mit unkonventionellem Marketing arbeiten und spannende Trailer herstellen. Der Markt ist nicht mehr fest, und das ist auch gut so. Jeder muss neu kämpfen und neue Chancen suchen. Das heißt auf der anderen Seite aber auch: Es gibt keine Stammplätze mehr und keine Garantien. Filme sind keine sicheren Wetten mehr.

Columbia-TriStar-Chef Jürgen Schau zum Kinomarkt