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Kino

Blickpunkt:Film: "Memento" stellt die Regeln des Thrillers genial auf den Kopf. Wie kamen Sie auf diese Ideen?


Christopher Nolan: Das ursprüngliche Konzept stammt von meinem Bruder, der es mir auf einer langen Autofahrt erzählte. In seiner Geschichte jagt ein Mann, der sein Kurzzeitgedächtnis verloren hat, den Mörder seiner Frau. Als ich daraus ein Drehbuch machen wollte, spielten wir gemeinsam herum und kamen darauf, alles aus der Perspektive des Helden darzustellen. Ich grübelte dann monatelang nach, wie ich das am besten bewerkstellige. Eines Tages hatte ich plötzlich zu viel Kaffee getrunken, und auf einmal hatte ich es: Ich muss alles zeitlich rückwärts erzählen.


BF: Hatte das Genre eine solche Generalüberholung nötig?


CN: Nicht nur der Thriller, das ganze Kino muss neu erfunden werden. Die Filmemacher sollten sich die gleichen erzählerischen Freiheiten nehmen, wie
sie Romanciers und Dramatiker schon seit Hunderten, wenn nicht Tausenden von Jahren genießen.


BF: Doch Ihr nächster Film, "Insomnia" mit Al Pacino und Robin Williams, ist ein Studioprojekt. Hatten Sie da auch diese Freiheiten?


CN: Ich wusste natürlich, dass ich bei einem Film dieser Größenordnung das breite Publikum nicht irritieren darf. Aber die Geschichte vertrug ohnehin keine strukturellen Experimente wie "Memento". Bei mir soll der Zuschauer alles aus den Augen der Hauptfigur sehen, und um das bei "Insomnia" zu erreichen, musste die Handlung ganz traditionell linear erzählt werden. Hier geht es um einen Cop auf einem Einsatz in Alaska, der we-
gen der eigentümlichen Lichtverhältnisse Nacht für Nacht nicht schlafen kann. Je weiter die Handlung fortschreitet, desto extremer wird seine Stimmung und seine Sicht der Welt.


BF: Das heißt aber doch, dass Hollywood Sie in Ihren Möglichkeiten einschränkt.


"Das ganze Kino muss neu erfunden werden"


CN: Sie dürfen eines nicht vergessen: Als ich den Auftrag für "Insomnia" bekam, war "Memento" in den Staaten noch gar nicht gestartet. Niemand erwartete, dass er kommerziell so erfolgreich sein würde. Also schon allein die Tatsache, dass ich als Filmemacher ohne jegliche Erfolgsbilanz ein so großes Projekt bekam, ist bemerkenswert. Wenn du einen Film mit niedrigem Budget machst, bist du auch in deinen Möglichkeiten eingeschränkt. Das wiederum fördert deinen Einfallsreichtum. Ich hoffe, dass die Auseinandersetzung mit den Studios eine ähnlich kreative Wirkung hat.


BF: Ist die schon in "Insomnia" zu sehen?


CN: Ich hatte keine Probleme mit Warner bei "Insomnia". Ganz im Gegenteil, man ist mir sehr entgegengekommen. Aber ich finde, durch den kommerziellen Druck ist der Film viel subtiler geworden als "Memento". Er ist durchaus subversiv, aber nicht auf so offensichtliche Weise, dass er den Zuschauer vor den Kopf stößt.


BF: Sie wollen also subversive Elemente ins Hollywood-Kino bringen.


CN: Ich versuche, etwas Besseres zu machen als die durchschnittlichen Studioproduktionen. Es ja einfach, kleine Filme zu machen und über die großen Hollywoodproduktionen zu lästern. Aber man sollte sich doch selbst einmal an einem solchen Projekt versuchen. Die Zeit ist günstig. Die Studios suchen ja nach neuen Ideen für etablierte Genres. Und deshalb sind sie auch gut zu mir.


BF: Bei "Insomnia" haben Sie nicht nur mit einem großen Apparat gearbeitet, sondern auch mit einem großen Star. Wie bereitet man sich auf die Arbeit mit Al Pacino vor?


CN: Durch die Zusammenarbeit mit [Guy Pearce](/person/guy-pearce) bei "Memento" hatte ich einiges gelernt. Ich kannte jetzt die Arbeitsprozesse eines Schauspielers und wusste, wie ich sie für meine eigenen Prozesse nutzen konnte. Deshalb habe ich Pacinos Darstellung zum Motor des ganzen Films gemacht. Aber sowohl bei Guy wie auch bei Al musst du ständig auf der Hut sein, dass du nichts von ihnen verlangst, was keinen Sinn ergibt.


BF: Wissen Sie schon, wie es jetzt weitergeht?


CN: Ich habe ein fertiges Drehbuch, eine Adaption des [Ruth Rendell](/person/ruth-rendell)-Thrillers "Keyes to the Street", über das ich derzeit Gespräche führe. Aber hauptsächlich konzentriere ich mich auf die Endfertigung von "Insomnia". Auch wenn meine Filme einen anderen Eindruck erwecken - aber ich bin jemand, der sich nur auf einziges Projekt konzentrieren kann.


BF: Gesetzt den Fall, "Insomnia" sollte floppen, wie viel Chancen würde Ihnen das System noch geben?


CN: Das kann ich nicht sagen. Aber eines weiß ich: Wenn du ständig Angst hast, du würdest keinen weiteren Film mehr drehen, dann macht das deine Arbeit kaputt. Meine Einstellung ist die: Jeder Film, den ich mache, ist mein letzter. Ich betrachte ihn als Vermächtnis, und deshalb gebe ich mein Bestes.

Christopher Nolan zu "Memento" und "Insomnia"