Blickpunkt:Film

Kino

Blickpunkt:Film: Ist genau der Film herausgekommen, den sie sich vorgestellt hatten?

Boris Schönfelder: Es ist sogar ein wesentlich besserer Film herausgekommen, als ich mir vorgestellt habe. Bei einem Debütfilm nimmt man sich immer viel vor - häufig klappt einiges davon nicht. Dank der exzellenten Vorbereitung aller und insbesondere des Regisseurs mussten wir so gut wie keine Abstriche machen. Wir mussten zwar nachdrehen, aber nur weil ein Schauspieler krank wurde. Der Film feierte Premiere auf dem Tribeca Festival, was nicht nur eine große Ehre ist, sondern auch den internationalen Verkauf angekurbelt hat. Wir haben den Film bereits nach Großbritannien, Thailand, Indonesien, Malaysia, Russland und Mexiko verkauft und verhandeln um die US-Rechte. So viel können wir also nicht falsch gemacht haben.

"Es ist sogar ein wesentlich besserer Film herausgekommen, als ich mir vorgestellt habe"

BF: War es schwierig, sich von einer selbst produzierten Low-Budget-Arbeit auf einen von jemand anderem produzierten, teureren Film umzustellen?

Christian Alvart: Mit mehr Geld um zu gehen, ist nicht schwierig. Denn es ist immer zu wenig. Und auch das Filmemachen ist dasselbe. Für mich war es schwierig, mich vor einem Produzenten zu rechtfertigen. Bei meinen früheren Filmen war ich immer der Einzige, der etwas zu sagen hatte. Nicht dass es eine Horrorerfahrung war, wir haben uns sehr gut verstanden. Aber der Kampf, der schon in unseren beiden Berufen verankert ist, geht von der Entwicklung über den Dreh und den Schnitt bis zu den Testvorführungen. Der Film ist für mich keinesfalls ein Kompromiss mit dem Produzenten, sondern etwas, das daraus entstanden ist, dass man sich einig wurde.

BF: Inwiefern sind Sie als Koproduzent beteiligt?

CA: Ich habe eine eigene Firma, Syrreal Entertainment, die marginal beteiligt ist. Ich habe die Musikrechte über sie geklärt und als Rückstellung eingebracht, genau wie meine Regietätigkeit. Ich habe im Einzelfall auch Produzententätigkeit mit übernommen. Z. B. habe ich mit [Heinz Hoenig](/person/heinz-hoenig) verhandelt, damit wir ihn für das Geld kriegen, das wir auch allen anderen nur bezahlen. Ich habe viele Produktionsentscheidungen mit getroffen, um das meiste aus dem Geld raus zu holen. Etwa habe ich lieber auf eine Nebenfigur verzichtet und dafür einen Hubschrauber bekommen.

BF: Wie stark haben Sie sich in die Entwicklung eingebracht, Herr Schönfelder?

BS: Christian Alvart kam mit diversen Stoffangeboten auf mich zu, und ich habe große Qualität darin gesehen und mich für dieses 30-Seiten-Treatment entschieden. Wir haben zusammen sehr lange und intensiv am Drehbuch gearbeitet. Auch in der Besetzung ergänzten wir uns. Als [André Hennicke](/person/andre-m-hennicke) z. B. auf der [Berlinale](/company/internationale-filmfestspiele-berlin) "[Der alte Affe Angst](/movie/der-alte-affe-angst)" promotete, suchten wir noch nach einem Schauspieler für den Killer. Ich arrangierte ein Treffen mit ihm und Christian Alvart. Hennicke kam und knallte uns Profiler-Bücher auf den Tisch Und uns beiden war klar: Das ist der Killer.

BF: Herr Schönfelder, warum haben Sie einen Thriller als Kinodebüt ihrer Firma gewählt?

BS: U. a. wollte ich mir beweisen, dass man ein solches Projekt finanziert bekommt - allen Bedenken zum Trotz, die einem in diesem Land entgegenschlagen, wenn es um dieses Genre geht. Man braucht ein sehr, sehr gutes Buch, um konkurrieren zu können. Und das war gegeben. Auch die Vorbereitungsweise kam uns entgegen. Alvart denkt beim Buch gleich an die Regie und lässt Storyboards anfertigen. So konnte ich während der Finanzierungsphase den Menschen, die ich begeistern wollte, etwas vorlegen und ihnen zeigen, wie der Film aussehen wird. Als die den fertigen Film gesehen haben, haben sie sich gewundert, wie sehr wir der Vorlage treu geblieben sind.

BF: Warum haben Sie mit einem Storyboard Artist gearbeitet, Herr Alvart?

CA: Jan Saße ist mit mir zur Schule gegangen und war der Beste im Zeichenkurs. Im Ernst, wir haben schon bei "[Killer Queen](/movie/killer-queen)" zusammengearbeitet. Wenn man weiß, dass man nicht so viel Geld für einen Film bekommt, wie man eigentlich braucht, kann man am Set nicht mehr viel experimentieren. Wenn etwas nicht funktioniert oder man eine bessere Idee hat, kann man immer noch reagieren und weggehen vom Storyboard.

BF: Dann hatte [Hagen Bogdanski](/person/hagen-bogdanski) nicht so viel zu tun ...

CA: Er musste in dem Tempo, in dem wir gedreht haben, alles ausleuchten. Bei einigen Schlüsselszenen saßen wir auch zu dritt an der Storyboard-Entwicklung. Ich hatte ja ein Jahr Zeit, vorzubereiten, Hagen Bogdanski hatte noch andere Termine. Das bedeutet nicht, dass er keinen Einfluss hat. Wir haben zusammen Filme geguckt und geschaut, dass wir auf einer Linie sind. Nicht dass er einen anderen Film machen will als ich.

"'Antikörper' ist nicht einfach nur ein Genrefilm"

BF: Herr Alvart, bei einem Genrefilm wie diesem, ist es da nicht schwierig, sich von den etlichen Vorgängern abzuheben?

CA: Ich setze mich nicht hin und sage: "[Das Schweigen der Lämmer](/movie/das-schweigen-der-laemmer)" ist so ein toller Film, das will ich jetzt auch machen - gerade bei "Antikörper", der sehr persönlich ist. Er ist nicht einfach nur ein Genrefilm, sondern da ist sehr viel Selbsterlebtes und Gedachtes drin. Als ich die Story aufbaute, war irgendwann klar, dass es eine Situation geben wird, in der der Polizist dem Killer im Gefängnis gegenübersitzt. Jeder würde an "Schweigen der Lämmer" denken, der stark in der Popkultur verankert ist. Ab da versuchten wir uns abzuheben. Die Dramaturgie und die Geschichte von "Schweigen" und "Antikörper" sind so unterschiedlich gebaut, nur die Situation in der Zelle ist ähnlich, aber ganz anders gefilmt. Das Gefängnis ist anders designt, die Figur des Serienmörders ist anders; er ist Antagonist und kein perverser Ratgeber. Weil man die Assoziation trotzdem nie ganz wegkriegt, habe ich einen Gag eingebaut.

BF: Wie hoch war das Budget?

BS: Das Budget von 2,5 Mio. Euro war nur unter Zurhilfenahme von Rückstellungen möglich. Produzent und Regisseur verdienen erst mal gar nichts, und auch die Hauptdarsteller waren so begeistert, dass sie Teile ihrer Gage zurückgestellt haben.

BF: Es liegt also nicht unbedingt am Budget, das Thriller hierzulande so selten gemacht werden?

BS: Wir haben versucht, mehr aus den Film zu machen, was den Look betrifft, als man vielleicht landläufig glaubt, machen zu können. Es war möglich, weil wir so viele hochmotivierte Mitarbeiter hatten, die sich alle beweisen wollten, dass es geht. Man mag sich darüber streiten, ob es ein Lieblingsfilm ist. Aber bei den Sneaks, wo die Leute sehr kritisch sind, kommen wir sehr gut weg. Wenn das der Beginn der Mundpropaganda ist, kann ich mich jetzt schon glücklich schätzen. Dass wir den Film überhaupt machen konnten, ist schon ein Erfolg - in einem Land, in dem der Thriller eher dem Fernsehen zugeschrieben wird.

"Hierzulande braucht man ein gutes Buch und einen eigentümlichen Look"

BF: Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass deutsche Thriller wie "[Tattoo](/movie/tattoo_f)" oder Actionfilme nicht laufen oder nicht so gut wie vergleichbare US-Ware?
BS: "Tattoo" war wesentlich teurer; dem Regisseur hat er immerhin die Tore nach Hollywood geöffnet, auch wenn er an den Kinokassen nicht hundertprozentig zündete. Ein Film, der beweist, dass Genre funktionieren kann, ist "[Das Experiment](/movie/das-experiment)"; da sind fast zwei Mio. Besucher reingegangen. Das Buch war eben stark. Mit den Actionmöglichkeiten US-amerikanischer Filme können wir allerdings nicht konkurrieren. Wir haben es versucht, aber es wird nicht gelingen - zumindest nicht in einer kontinuierlichen Form. Es geht da um ganz andere Budgets. In Deutschland kann man sich auch nicht darauf verlassen, dass man mit einem bestimmten Schauspieler Zuschauer ins Kino bekommt. Wenn ein Film z. B. funktioniert und berührt, dann gehen die Leute in einen Film mit [Daniel Brühl](/person/daniel-bruehl). Wenn der Film den Publikumsgeschmack nicht trifft, dann hilft auch Daniel Brühl nicht, mehr Leute zu locken. Und das gilt für alle deutschen Darsteller. US-Schauspieler haben größere Starpower, auch wenn natürlich nicht jeder Film mit [Bruce Willis](/person/bruce-willis) gut läuft. Hierzulande braucht man ein gutes Buch und einen eigentümlichen Look, den man sich genau überlegen muss.

BF: Wie entwickelte sich dieser spezielle Look?

CA: Ich habe das Buch geschrieben, dabei lief der Film schon vor meinem inneren Auge ab. Das ist der erste Schritt. Mit jeder Person, die am Look beteiligt ist, entwickelt er sich weiter. Da ist der Kameramann, der die Lichtbestimmung macht, das Production-Design, das Kostüm und die Schauspieler.

BF: Wie bekommt man also die Leute ins Kino?

BS: Die beste Antwort kann der Verleiher geben, der die Kampagne fährt. Wir haben uns sehr eng abgestimmt, was ich toll fand von Kinowelt. Es ist A eine Frage des Budgets, wie der Film herausgebracht wird. Kann man sich großflächige Plakatierung leisten, kann man Trailer im Fernsehen buchen? Natürlich wird nicht das ganz große P&A-Budget ausgepackt, aber alle glauben an das Projekt und arbeiten motiviert an der Herausbringung. Das Wichtigste für mich ist, dass man den Film in die Welt einpflanzt über den Internetauftritt, die Sneaks, über Medienpräsenz - zum Glück gab es Förderung von der FFA für Trailer im TV -, damit sind wir präsenter als wir es sonst hätten sein können. Mit Heinz Hoenig haben wir einen Fernsehstar, aber nicht die ganz großen. Da bringt es wenig, mit den Schauspielern durch die Kinos zu ziehen, weil es die Leute weniger interessiert, als wenn Otto erscheint. Wir kreieren die Präsenz anders. Wir haben drei sehr unterschiedliche Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Images, die in verschiedenen Medien unterzubringen sind.

"Ich hoffe, der Film beweist, dass man sich was trauen kann"

BF: Wie hoch schätzen Sie die Chancen für den Kinostart ein?

BS: Man muss auf dem Teppich bleiben und die Erwartungen an den Film nicht zu hochschrauben. Wir haben früher mal gesagt: Wenn "Antikörper" 100.000 Zuschauer macht, ist das gut. Jetzt mit der Kampagne - die Plakate kommen sehr gut an - schaffen wir vielleicht ein bisschen mehr. Alles, was jenseits der 150.000-Zuschauer-Marke ist, macht mich happy.

CA: Realismus in Bezug auf deutsches Kino und Thriller bedeutet Pessimismus. Bei vielen deutschen Filmen kriegen die Leute ja nicht mal mit, dass sie laufen. Aber die Sneaks laufen sehr gut. Ich wünsche mir den Erfolg auch für jeden anderen jungen Regisseur, der einen Stoff gegen die Regeln macht - wie etwa in Deutschland 'keine Thriller' oder 'keine Religion'. Ich hoffe, der Film beweist, dass man sich was trauen kann.

BF: Ab wann bekommen Sie dann wahrscheinlich Ihre Gage?

CA: Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Schließlich bin ich nicht wegen dees Geldes in diesem Beruf. Ich müsste erst in den Vertrag schauen. Ich rechne aber eigentlich nicht so schnell mit Geld. Bei einem deutschen Thriller darf man erst einmal mit gar nichts rechnen. Ich hoffe, dass er seine Kosten einspielt und es vielleicht ein bisschen Geld bei der DVD gibt.

"Mir ist es wichtig, Kinofilm zu machen"

BF: Als Filmemacher hat man die DVD-Auswertung also mittlerweile fest im Blick?

CA: Der große Irrtum ist, dass man mit der DVD das Kino abschafft. Kinofilme auf DVD verkaufen sich viel besser als Filme, die direkt auf DVD rauskommen. Mir ist es wichtig, Kinofilme zu machen. Bei den Entscheidungen, die ich kreativ treffe, achte ich mehr darauf, wie das im Kino wirkt und nicht, wie das auf DVD aussieht. Nur weil viel mehr Leute den Film auf DVD oder im Fernsehen sehen als im Kino, drehe ich nicht 25 Bilder pro Sekunde, sondern 24.

BF: Trotzdem denken Sie aber an Zusatzmaterialien?

CA: Das macht ja auch Spaß. Jeder Regisseur liebt es, auf die DVD noch ein paar Sachen drum herum zu packen, Sachen, die bei der Kaufentscheidung wichtig sind - auch bei meiner eigenen. Wir haben ein Making of gemacht, aber ich konnte mich nicht drum kümmern. Was man nicht glauben mag - aber bei diesem Film gab es eine über 30 Minuten längere Fassung, die auch funktioniert und nicht zu lang wirkt. Diese Fassung hat allen gefallen, einschließlich MedienKontor, Kinowelt und mir. Trotzdem war uns klar, dass das ökonomischer Selbstmord gewesen wäre. Ich habe also angefangen zu kürzen, und lustigerweise erschien der Film einem länger. Ich habe lange geschnitten, bis die Testzuschauer sagten, der Film wirke nicht mehr zu lang. Das war eine interessante Lektion für mich. Die längere Fassung soll dann auch als Special Edition rauskommen. Während der Thriller in der Kinofassung komplett ist, gibt es in der längeren noch mehr Szenen mit der Familie, mit der Ehefrau und der Verkäuferin in der Stadt. Die Figuren von [Ulrike Krumbiegel](/person/ulrike-krumbiegel) und [Nina Proll](/person/nina-proll) sind ja nur angedeutet.

"Wir wollen hoch hinaus"

BF: Herr Schönfelder, als nächstes Kinoprojekt gehen Sie erneut ein schwieriges Genre an, einen Bergfilm ...

BS: Wir sind in der Planung von "Nordwand" relativ weit, und ich will den Film spätestens Anfang nächsten Jahres realisieren. Es ist die auf Tatsachen basierende Geschichte des tragisch endenden Versuchs von vier Kletterern, die Eiger Nordwand zu besteigen. Sie spielt zu zwei Dritteln in der Wand. Es wird ein größeres Projekt sein, und wir wollen damit sozusagen hoch hinaus. Das Buch schrieb [Benedikt Röskau](/person/benedikt-roeskau), und es wurde in Zusammenarbeit mit dem [BR](/company/bayerischer-rundfunk-br) entwickelt. [Senator Film](/company/senator-film-verleih) ist als Verleih dabei. Das Projekt wird wahrscheinlich eine deutsch-österreichisch-schweizerische Koproduktion. Ich plane auch einen weiteren Kinofilm mit Alvart fürs nächste Jahr, "Das Schwarzlichtterrarium" nach Thor Kunkel. Eine vollkommen irre Geschichte, die in den Spätsiebzigern in einem Stadtteil von Frankfurt namens Kamerun spielt. Und von vier Freunden handelt, totale Loser, die einen Coup vorhaben, ein Film in der Richtung von "[Boogie Nights](/movie/boogie-nights)" und [Spike- Jonze](/person/spike-jonze)-Filmen. Alvart wird auch das Drehbuch schreiben.
Außerdem sind weitere TV-Movies geplant. Momentan bereiten wir eins für [Sat.1](/company/sat1-satellitenfernsehen) vor. [Franziska Buch](/person/franziska-buch) wird Regie führen, die Hauptrolle spielt [Marie Bäumer](/person/marie-baeumer). Der Arbeitstitel lautet "Alphabet der Liebe". Es ist die Liebesgeschiche zwischen einer Postbotin und einem hochbegabten Abiturienten. Wir hoffen, auch einen zweiten Film für Sat.1 zu machen, die Familienkomödie "Eine unmögliche Familie". Wir wollen auch weiter mit [Dieter Wedel](/person/dr-dieter-wedel) arbeiten und haben noch weitere Projekte in der Entwicklung.

Christian Alvart und Boris Schönfelder zu "Antikörper"