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LicensingMarkt: Wie hat sich aus Ihrer Sicht die deutsche Animationsbranche verändert?

Hahn: Als ich vor 22 Jahren zum Trickfilm wechselte, gab es in Deutschland nur kleine Firmen mit geringem Output und Filmkünstler, die Einzelfilme und Miniserien fürs Fernsehen herstellten. Da galt das Motto: "Jeder kann alles, jeder macht alles!" Mit der Serie "Benjamin Blümchen" und dem ersten "Werner"-Film hat Hahn Film und später dann auch die Trickcompany eine "industrielle" Produktionsweise eingeführt. Das bedeutete: Anstellung von Spezialisten zur arbeitsteiligen Herstellung, Übernahme international erprobter Ablaufroutinen, Auslagerung arbeitsintensiver Teilbereiche nach Asien, Kostencontrolling etc. Andere Animationsstudios, wie Cologne Cartoon, Cartoon Film,
, [ASL](/company/animationsstudio-ludewig-asl), entwickelten sich ähnlich. Im Zuge des "Animationsbooms" der Jahre 1996 bis 2001 - die unter Kollegen jetzt schon die "guten alten Zeiten" genannt werden - erwarben all diese Firmen wertvolles Know-how, bauten Kapazitäten aus, stellten feste Mitarbeiter ein und schufen Filme und Serien, die sich auch international sehen lassen konnten. Eine deutsche Animationsszene war entstanden, die von unten gewachsen war, ihren Schwerpunkt allerdings in der Dienstleistung hatte und wenig Erfahrung im Produzieren und Finanzieren. Mit dem Boom trat das Kapital auf den Plan. Börsenstars und Quereinsteiger wie [EM.TV](/company/sport-1-medien-ag), [Greenlight](/company/greenlight-media), [Loonland](/company/tv-loonland-ag) oder [RTV](/company/your-family-entertainment-yfe) spielten virtuoser auf der von den Kollegen und mir nur unzureichend beherrschten Finanzierungsklaviatur. Großaufträge und Output-Deals der Fernsehanstalten landeten und landen verständlicherweise bei denen, die eine geschlossene Finanzierung nachweisen können. Inzwischen herrscht Katerstimmung. Den "Finanzierern" geht das Geld aus, Crashkurs-Producern ohne solide Branchenkenntnisse und Fernsehredakteuren dämmert die Erkenntnis, dass Geld und Kontakte nur eine Seite des Produzierens ist. Auf der Strecke bleibt die deutsche Animationsszene. Studios werden geschlossen, Konkurse stehen vor der Tür, Künstler wandern ins Ausland ab.

"Künstler wandern ins Ausland ab"

LM: Welche Rolle haben die Fernsehsender dabei gespielt?

Hahn: Der Stammtisch ist sich einig: Der Saban-Deal mit dem [WDR](/company/westdeutscher-rundfunk-wdr), der EM.TV-Deal mit dem [ZDF](/company/zdf-zweites-deutsches-fernsehen), der RTV-Deal mit Super RTL und andere Output-Deals sind mit schuld am einsetzenden Niedergang der deutschen Animationsszene. Die Qualität der durch diese Deals entstandenen Produkte ("Sissi", "Tabaluga", "Fix und Foxi" etc.) entsprechen häufig nicht einmal den eigenen Qualitätsmaßstäben der Sender. Sie werden außerdem zumeist komplett in ausländischen Studios hergestellt. Das mit Steuergeldern bezahlte öffentlichrechtliche Fernsehen fördert so die Monopolisierung, stärkt mittelbar die ausländische Konkurrenz und vergibt die Chance, durch systematische Unterstützung der einheimischen Animationsindustrie auf Dauer verlässliche Partnerschaften und Qualitätsprodukte zu schaffen. Es ist sicher falsch, den Sendern einseitig die Schuld am Zustand der deutschen Animationsindustrie zu geben. Ohne das öffentlichrechtliche Fernsehen gäbe es uns alle nicht, und immer noch landen sehr viele Aufträge bei den Kollegen. Aber die Diskussion, ob eine angemessene Quote für deutsche Animation notwendige und legitime Strukturmaßnahme oder Protektionismus ist, muss dringend geführt werden. Eine schnelle Abstimmung zwischen erprobten Koproduktionspartnern, zum Beispiel deutschen, französischen, kanadischen Sendern und Produzenten, sollte ermöglicht und institutionalisiert werden.

LM: In einer solchen Situation wird gern von alternativen Auswertungswegen gesprochen. Gibt es die überhaupt?

Hahn:Die Businesspläne, in denen diese Auswertungswege als Füllhorn unendlichen Reichtums schöngeschrieben wurden, sind schuld daran, dass diese Wege zu Sackgassen geworden sind. Kein Mensch glaubt noch an signifikante Refinanzierung durch Merchandising, Print- oder Musikrechte. Wer heute Animationsfilme auf ehrliche Art produzieren will, muss bescheuert oder Masochist sein oder ein Studio haben, das er nicht schnell genug losgeworden ist. Die Herstellungskosten steigen bei gleichzeitigem Preisverfall aufgrund des Überangebots. Der Verdrängungswettbewerb führt zu Pleiten, zu Flucht in andere Märkte und zu Monopolen, soweit hatte Kalle Marx das doch alles schon so nett beschrieben. Wir müssen uns also etwas einfallen lassen. Kommt es nicht zur fälligen Unterstützung durch die Sender, werden wir langfristig keine Chance haben. Mittlerweile versuchen wir unsere Ideen anders "an den Mann zu bringen": Computerspiele, Comics, Internet oder das gute alte Buch sind Medien, mit denen ein Produkt in guter alter Manier von unten aufgebaut werden kann. Das dauert aber lange und bringt wenig Geld. Der gesamte Apparat müsste völlig neu strukturiert werden. Vielleicht gehe ich dann doch lieber in Rente…

LM: Mit "Nomads" gibt es bereits ein Projekt, das zuerst in einem anderen Medium bekannt gemacht werden soll, bevor daraus eine Trickserie wird. Wie ist hier der Stand der Dinge?

Unterstützung durch Sender dringend nötig

Hahn: "Nomads" ist eine Entwicklung der Firma Radon Labs, zu der wir die Designs gemacht haben und das Ende des Jahres veröffentlicht wird. Es hat eine Open Source Engine, die man sich im Internet herunterladen oder ergänzen kann ([www.radon labs.de](https://www.radon labs.de)). Bei der Spielemesse CTS in London hat es den Preis als das "Beste Spiel der Messe" erhalten. Wir arbeiten an einem Konzept für eine Real- oder Trickfilmumsetzung.

LM: Bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin 2002 wurde der japanische Zeichentrickfilm "Spirited Away" von Hayao Miyazake mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Wie hat die Branche darauf reagiert?

Hahn: Darüber freuen wir uns natürlich sehr. Zeichentrickfilm wird in Deutschland immer noch synonym mit Kinderfilm gedacht. Dem japanischen Animé, insbesondere "Ghost in the Shell", "Akira", "Spirited Away" oder "Prinzessin Mononoke" ist es zu verdanken, dass sich langsam auch in Deutschland herumspricht, dass Zeichentrick eine eigenständige, auch für Erwachsene interessante Kunstform ist. Sehr langsam entsteht aber auch bei uns eine Comickultur wie in Belgien, Frankreich oder eben Japan. Erst wenn die jetzigen Kids "Erwachsene" sind, wird ein deutscher Sender genug Quote mit Erwachsenen- Animation machen können. Deshalb hat der in Frankreich gerade fertig gestellte Film "Corto Maltese" in Deutschland leider noch keine Chance.

Comic-Kultur für Erwachsene fehlt

LM: Die Produktion "Abrafaxe - Unter schwarzer Flagge" blieb hinter den Erwartungen zurück. Welche Lehren wurden für die Zukunft daraus gezogen?

Hahn: O jeh! Das hab ich längst verdrängt. Da hab ich drei Amateurfehler gemacht: Zielgruppe überschätzt, schlechtes Drehbuch, zu wenig Geld. Der Rechteinhaber hatte uns suggeriert, dass der "gesamte Osten" geschlossen ins Kino rennen würde. Ein Trugschluss! Das Buch konnte nicht sorgfältig genug ausgearbeitet werden, weil wir unter Zeitdruck losproduzieren mussten, und natürlich war das Budget für die angepeilte Qualität viel zu niedrig. Wir hoffen, dass der bald startende Videoverkauf des Films die niedrigen Besucherzahlen in den Kinos wieder wettmachen wird.

LM: Elefant Benjamin Blümchen feiert in diesem Jahr seinen 25. Geburtstag. Was ist aus ihm geworden?

Hahn: Vor zwei Jahren habe ich die Rechte an den von uns entwickelten Designs von "Benjamin Blümchen" und "Bibi Blocksberg" komplett abgegeben. So ist das mit geliebten Kindern: Irgendwann muss man sie gehen lasssen. Das tut ein bisschen weh, gibt einem aber Zeit, sich neuen Aufgaben zu widmen.

LM: Wie ist der Stand der Dinge bei Ihren Serien?

Hahn: Die erste Staffel der von uns entwickelten Serie "Gnarfs" ist fertig gestellt, und wir wollen jetzt mit RTV und Phenomedia als Partner für Super RTL 26 weitere Folgen herstellen.Die "Gnarfs" gibt es als Onlinegame auch im Intenet, unter der Adresse www.gnarf.de. Ansonsten kämpfen wir um die Finanzierung einiger Serien: Bei "Arabian Nights" und der Mumienserie "Fudd-e-Tuut" versuchen wir eine französisch-deutsche Koproduktion auf die Beine zu stellen, an der auch Motion Works in Halle teilnimmt. "Crash Boom Bang", die Soap über eine virtuelle Band, ist ebenfalls noch nicht finanziert.

LM: Welche Ansprüche werden heute an den europäischen Animationsfilm gestellt?

Hahn: Die Sehgewohnheiten haben sich verändert. Selbst für Disneys "Cinderella" könnte man heute keinen Verleiher finden, wenn nicht "Disney" draufstehen würde. Die Bücher sind besser geworden, die Gagdichte sehr viel höher, das Tempo schneller. Dem muss man sich stellen. Die Animationsqualität hat sich hingegen nicht verbessert, sie ist nur spektakulärer geworden. Die schauspielerischen Qualitäten der Animatoren sind eher schlechter geworden. Es gibt im Wesentlichen zwei Wege, um international erfolgreich zu sein. Der erste: Stoffauswahl, Design, Animationsstil, Hintergründe etc. entsprechen exakt den amerikanischen Gewohnheiten, kurz: man unterwirft sich dem amerikanischen Kulturimperialismus und macht einen amerikanischen Film mit deutschem Budget unter dem Dogma der "Family- Tauglichkeit" (das heißt, geeignet für Embryos, Pubertierende, Wahlberechtigte und senile Greise gleichermaßen). Der zweite Weg: Man nimmt sich ein Beispiel an den japanischen Animés. Und das heißt konsequenter Verzicht auf die Anbiederung an Familientauglichkeit und Internationalität, Konzentration auf die Story, Entwicklung einer eigenen Ästhetik. Wir schreiten zurzeit in beide Richtungen.

Im Interview: Gerhard Hahn, GF Hahn Film