Blickpunkt:Film

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Am Samstag feierte ["Kidnapping Stella"](/movie/kidnapping-stella) Premiere beim Filmfest München; schon am 12. Juli wird der Film bei Netflix zu sehen sein. Regisseur [Thomas Sieben](/person/thomas-sieben) erklärt, warum er froh ist, dass sein Thriller mit [Max von der Groeben](/person/max-von-der-groeben), [Jella Haase](/person/jella-haase) und [Clemens Schick](/person/clemens-schick) auf dieser Plattform zu sehen sein wird.


Wie kommt man darauf, von dem britischen Thriller "[Spurlos - Die Entführung der Alice Creed](/movie/spurlos-die-entfuehrung-der-alice-creed)" ein deutsches Remake machen zu wollen? Warum bietet sich ausgerechnet dieser Stoff an?


Die Idee stammt von dem Produzenten [Henning Ferber](/person/henning-ferber). Er war es, der mich angesprochen hat, nachdem er sich die deutschen Neuverfilmungsrechte gesichert hatte. Ich kannte den Film bereits, ich hatte ihn damals gesehen, als er in Deutschland auf DVD erschien. Ganz starker Film, toll besetzt mit Gemma Arterton und Eddie Marsan. Aber ein einfaches Remake hätte mich eher nicht interessiert. Ich wollte etwas anderes damit machen. Und hatte auch gleich eine Vorstellung, was man damit machen könnte. Ich habe ihn mir also noch einmal angeschaut und dabei genau hingesehen, wie ich aus diesem Szenario einen Film machen könnte, der mein Film ist.


Was war Ihre Überlegung?


Ich wollte, dass die emotionale Reise der Geschichte klarer definiert ist. Im Original geht es ganz stark um die Twists, um überraschende Handlungswendungen, was zum Schluss hin fast absurde Züge annimmt. Mein Gefühl war, dass man gerne zusieht, aber eben von außen. Man schaut auf den Film drauf, ist aber nicht mittendrin. Das war aber mein Ansatz. Ich habe ganz klar die von Max von der Groeben gespielte Figur in den Mittelpunkt gestellt. Wir sehen die Geschichte durch seine Augen, machen seine Reise mit, die emotionale Reise eines Verlierers mit einem schlechten Plan, der auch noch schiefläuft, und der sich immer tiefer in den Mist reitet, bis er am Schluss merkt, dass an einem Punkt ist, endlich Verantwortung für seine Fehler zu übernehmen und einmal das Richtige zu machen.


Es war eine Chance, endlich auch in Deutschland einen lupenreinen Genrefilm zu machen.


Zumal mit einem Produzenten, der Filme gemacht hat wie ["Rubbeldiekatz"](/movie/rubbeldiekatz) oder ["Alles ist Liebe"](/movie/alles-ist-liebe). Ich habe die Chance gesehen, einen Genrefilm mit einem vernünftigen Budget und guten Leuten machen zu können. Wenn Genre gemacht wird in Deutschland, dann oft in der Trash-Nische, die ein ganz eigener Markt für sich ist, oder im Hochschulbereich, weil Genre den Leuten die Chance gibt, sich auszuprobieren. Für mich ist "Kidnapping Stella" mein dritter Film als Regisseur. Genre ist filmemacherisch sehr technisch. Es geht um Spannung, um Informationsverteilung. Man muss entscheiden, wann man eine Fahrt einsetzt, wann Handkamera am besten ist. Was sieht man, was zeigt man? Es ist, als müsste man ständig Rätsel lösen.


Wie haben Sie entscheiden, was Sie aus dem Original übernehmen wollten und wann Sie abweichen?


Alles stand im Dienst der Heldengeschichte, die ich erzählen wollte. Das Original ist gut, es hat viele Fans, man musste den Film nicht neu erfinden. Vielmehr ging es darum abzuklopfen, welche Elemente aus dem ursprünglichen Film unterstützen würden, worum es mir ging. Entscheidend ist der Blickwinkel, die Perspektive, aus der man erzählt. Ich wollte nah dranbleiben an Tom, der Figur von Max von der Groeben. Das bedeutete, den eher distanzierten Ton von "Spurlos - Die Entführung der Alice Creed" aufzugeben, über Max' Schulter zu filmen, mit ihm am Tisch zu sitzen, den Zuschauer mit seinen Augen sehen zu lassen.


Generell heißt es, Genre aus Deutschland würde im Kino nicht laufen, weil Deutschland "Tatort"-Land ist - Krimi und Thriller bekommt man umsonst im Fernsehen geboten.


Ich fände es schwierig zu sagen, der Zuschauer ist schuld. Zum einen gibt es in Deutschland das Kinokoproduktionsmodell. Kinofilme werden mit Hilfe von Fernsehsendern gemacht, womit immer auch Sendezeiten verbunden sind, die wiederum den Ausschlag für die Budgets und FSK-Freigaben geben. Zum anderen hat die Genremüdigkeit aber auch damit zu tun, dass viele der Entscheider traditionell keine Genrefans sind. Ich meine das nicht böse, es ist ein Fakt.


Und doch merkt man, dass sich die Dinge zu verändern beginnen.


Das liegt sicherlich auch an den Streamern, aber auch an Angeboten wie ZDF Neo. Man spürt, da ist mehr Mut da, mehr Lust an ungewöhnlichen Stoffen. Aber es wächst auch eine neue Generation von Filmemachern heran, die grundsätzlich eine andere Haltung zu Genre hat, die mit Genre aufgewachsen ist, mit den Coen-Brüdern oder Sam Raimi. Da tut sich gerade ganz viel. Sachen wie ["Dark"](/tvshow/dark) sind ein erster Schritt in die richtige Richtung.


Stichwort Streamer. Nach im Januar wurde "Kidnapping Stella" als Teil der Staffel von Universum angekündigt. Jetzt kommt Ihr Film fast unmittelbar nach seiner Premiere auf dem Filmfest München bei Netflix, am 12. Juli ist Start.


Ich war in diese geschäftlichen Entscheidungen nicht involviert. Ich wusste nur, dass der Wechsel zu Netflix eine Option wäre. Ich finde das super. Der Film gehört auf Netflix, dort wartet das richtige Publikum, das seinen Spaß daran haben wird. Für diese Art von Film ist Netflix eine geniale Plattform. Er muss dort keine Hindernisse überwinden. Man sich nicht verabreden, muss kein Ticket kaufen. Wer neugierig ist, was das sein könnte, ein Thriller mit zwei Stars aus ["Fack Ju Göhte"](/movie/fack-ju-goehte), der klickt auf Start und lässt sich überraschen.


Die Situation ist paradox: Netflix kann auf die Neugier des Publikums vertrauen - und Filme haben es schwer im Kino, weil das Publikum dort nicht neugierig genug ist, ihnen eine Chance zu geben.


Es gibt einen alten Produzentenspruch: Die Leute wollen genau wissen, wofür sie ein Ticket kaufen. Wenn im Internet verwundert gefragt wird, warum Trailer immer alles verraten, ist das die Antwort. Die Menschen wollen nicht "The Game" von David Fincher, sie wollen auf Nummer sicher gehen. Netflix versteht es dagegen sehr gut, neugierig zu machen. Natürlich habe ich "Kidnapping Stella" fürs Kino gemacht. Aber die Realität sieht so aus, dass der Film auf einer anderen Plattform größere Chancen hat, sein Publikum zu finden.


Begreifen Sie sich in dieser sehr schnell wandelnden Landschaft dennoch als Kinofilmemacher?


Ich begreife mich als Geschichtenerzähler. Wenn man sieht, wer sonst noch bei Netflix tätig ist, von David Fincher über Alfonso Cuarón und Martin Scorsese hin zu Susanne Bier, dann könnte man sich kaum in besserer Gesellschaft befinden. Klar, ich liebe die große Leinwand, mein Film ist fürs Kino konzipiert. Aber wir haben mittlerweile auch alle große Fernseher und gute Anlagen zu Hause. Und wem das Smartphone reicht, dem kann "Kidnapping Stella" genauso gefallen. Mir ist es wichtig, meine Geschichten zu erzählen, sie so gut wie möglich zu erzählen und ein Publikum damit zu erreichen. Der Rest ist Nebensache.


Das Gespräch führte Thomas Schultze

Thomas Sieben über "Kidnapping Stella": "Die perfekte Plattform"