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Blickpunkt:Film: Ist es nicht frustrierend, nach Cannes eingeladen zu sein und dann in der deutschen Presse lesen zu müssen, dass es wieder kein deutscher Film in den Wettbewerb geschafft habe?


Jens Meurer: Die Diskussion "Schon wieder kein deutscher Film in Cannes" geht voll daneben. Richtig wäre: "Schon wieder kein deutscher Regisseur in Cannes." Egoli Tossell und das Hermitage Bridge Studio mit Andrey Deryabin haben es als kleine, unabhängige Produzenten geschafft, "Russian Ark" zu stemmen. Es hat acht Jahre gedauert, das Projekt zu realisieren. Die Produzenten waren lange da, bevor der Regisseur mit seiner Vision hinzukam. Kreative Leistungen für "Russian Ark" sind zu einem großen Teil in Deutschland entstanden. So hat Director"s Friend aus Köln für den Film eigens ein tragbares Festplattensystem erfunden, auf das 90 Minuten nonstop aufgezeichnet werden können. Dazu ist noch nicht einmal George Lucas in der Lage. Andrey Deryabin sagt: "In den USA haben sie das Geld und die Stars, wir in Russland haben wenig, sind aber stolz auf das Wenige. Ihr in Deutschland habt weder Geld noch den Stolz auf das Erreichte." Das führt dazu, dass das, was wir sonst in Deutschland produzieren, im Ausland nicht wirklich wahr genommen wird. Auf "Russian Ark" können wir indes als deutsche Produzenten aufbauen, denn der Film stammt vom Standort Deutschland. Ein Kollege bezeichnete "Russian Ark" als den ultimativen Autorenfilm, weil er keinen Schnitt mehr aufweist und alles in der Kamera entstanden ist. Möglich gemacht wurde dies durch die Arbeit der Produzenten; sie nur als Geldbeschaffer zu sehen, entspricht einer falschen Wahrnehmung.


BF: Ursprünglich sollte die Eremitage in St. Petersburg Gegenstand eines Themenabends bei Arte sein. Wie wurde daraus dann dieses einmalige Projekt?


JM: Die Eremitage war bereit, uns große Freiheiten zu lassen, und so wagte Regisseur [Alexander Sokurow](/person/alexander-sokurow), einen aufwändigen Film ohne Schnitt zu machen, der in einer Fahrt nicht nur die Räume des Winterpalastes durchmisst, sondern auch 300 Jahre russischer Geschichte erzählt, die sich in diesem Gebäude spiegelt. Zum ersten Mal wurde Montage überflüssig. Von Anfang an auf das Projekt eingelassen haben sich die [Mitteldeutsche Medienförderung](/company/mitteldeutsche-medienfoerderung), das [Filmboard Berlin-Brandenburg](/company/medienboard-berlin-brandenburg) und die [FilmFörderung Hamburg](/company/filmfoerderung-hamburg). Das motivierte. Keiner konnte zu dem Zeitpunkt wissen, ob die Idee überhaupt realisierbar war. Es kommt nicht oft vor, dass man mit einem Budget von über 92.000 Euro anfängt und bei 2,56 Mio. Euro endet.


BF: [Martin Scorsese](/person/martin-scorsese) tritt mit Cappa Production als Koproduzent auf. Wie kam er dazu?


JM: Scorsese ist ein langjähriger Bewunderer Sokurows. Wir hatten ihn um Hilfe gebeten, und er hat viele Kontakte auf russischer Seite für uns in die Wege leiten können.


BF: Welche technischen Probleme mussten für die Umsetzung überwunden werden?


JM: Viele. Die Lösung war HD: Eine Ohne-Schnitt-Methode ist nur digital umsetzbar. Eine HD-Kassette hat aber nur 45 Minuten. Wir mussten also ein Aufnahmegerät für 90 Minuten entwickeln. Dazu gehört eine neu erfundene Batterie, die besonders stabil arbeiten musste. Es handelte sich überdies um eine so noch nie gemachte Steadycam-Aufnahme, ausgeführt von [Tilmann Büttner](/person/tilmann-buettner). Das komplette Equipment musste über 2000 Meter und etwa 90 Minuten hinter der sehr wendigen Kamera hergetragen werden, ohne dass einer der acht Leute aus dem Tross ins Bild kam. Büttner hat sich für seine 35-Kilo-Ausrüstung eine spezielle Weste anfertigen lassen und wochenlang Krafttraining gemacht. Die Eremitage wurde zurückgebaut und komplett ausgeleuchtet, was der gleichzeitigen Nutzung von 33 Studios gleichkam. Die Liste der technischen Probleme ist unendlich lang - natürlich auch jene mit den möglichen Pannen. Auf der Regieseite war es nicht einfacher. Eine Generalprobe war nicht möglich, zwischendrin konnte nichts wiederholt werden, und der Einsatz der Schauspieler, Komparsen und des Orchesters musste sitzen, wenn die Kamera in einem Raum ankam. Wir haben drei Mal angesetzt, mehr passte nicht auf die Festplatten.


BF: Die Postproduktion erfolgte bei [KOPPMEDIA](/company/koppmedia), die auch die 24p-Kamera zur Verfügung gestellt hat. Hat man die Gelegenheit ergriffen, zufällig ins Bild gerutschte Details zu entfernen?


JM: Jeder Frame ist digital bearbeitet - mit Effekten, mit Farbkorrekturen -, so wie es Alexander Sokurovs Stil ist, nur digital. Es gab also eine sehr intensive Weiterbearbeitung, doch die war immer so geplant. Bei der Gelegenheit wurden tatsächlich kleinere Fehler repariert. Auch der Ton wurde sehr aufwändig bearbeitet und im neuen Mischstudio F in Babelsberg gemischt. In Cannes wird "Russian Ark" als erste digitale Projektion in der Geschichte des Wettbewerbs zu sehen sein - aber auch als 35-Millimeter-Kopie.

Jens Meurer über das deutsche Cannes-Engagement